#Prosa

Dummheit ist machbar

Robert Menasse

// Rezension von Peter Stuiber

Beinahe zehn Jahre ist es her, daß Robert Menasses „Sozialpartnerschaftliche Ästhetik“ für Aufruhr im österreichischen Literaturbetrieb gesorgt hat. Seine harsche Kritik am Harmoniebedürfnis der Literaten stieß wohl manchen altgedienten Paradeintellektuellen vor den Kopf. Es folgten zwei weitere Essaybände, in denen der gebürtige Wiener sich mit den Niederungen der heimischen (Kultur-)Politik auseinandersetzte: „Das Land ohne Eigenschaften“ (1992) und „Hysterien und andere historische Irrtümer“ (1996).

Die stete Präsenz in den österreichischen Medien – „Format“, „Profil“, „Falter“, „Der Standard“ etc. – haben Menasses Ruf als unerbittlichen und äußerst streitbaren Intellektuellen gefestigt. Vor wenigen Monaten wurde der „Nestbeschmutzer“ sogar mit dem Österreichischen Staatspreis für Kulturpublizistik ausgezeichnet – eine staatliche Umarmungsgeste, die Menasse dadurch abzuwehren suchte, dass er das Preisgeld für einen privaten, nach Jean Améry benannten Essaypreis stiftete.

Rechtzeitig zur Nationalratswahl 1999 (d. h. zur politischen Wende schlechthin, so Menasse) erscheinen einige seiner Essays aus den beiden letzten Jahren (plus ein Originalbeitrag) in Buchform. Während viele der Intellektuellen in Österreich wie gebannt auf Haider blicken, richtet Menasse seine Aufmerksamkeit auf die Versäumnisse der rot-schwarzen Regierungskoalition. „Was interessiert mich der virtuelle Dr. Jekyll Mr. Haider, wenn es real Verantwortliche für wirkliche Abgründe in diesem Land gibt?“ (S. 68) Und so verbeißt sich der Schriftsteller lieber in das „Dritte Budgetbegleitungsgesetz“, welches die Medienförderung reguliert, als in das Kunst- und Kultur-Kapitel aus den neuen philosophischen Aufzeichnungen des Kärntner Landeshauptmannes. Menasses Hauptreibepunkte sind stets die gleichen: der Einfluss der hinter verschlossenen Türen beratenden Sozialpartnerschaft auf politische Entscheidungen; das Bestreben der Regierung, „Musterschüler“ Europas sein zu wollen, statt selbstbewusst zu gestalten; die Existenz einer „Realverfassung“ in Österreich, die im Bedarfsfall von der festgeschriebenen gehörig abweichen kann; der Eiertanz um die österreichische Neutralität; schließlich die Ausländerpolitik, der selbst ein Todesfall nichts anhaben kann.

Menasses Botschaft ist klar: „Ich mache den Vorschlag, diese Regierung endlich abzuwählen.“ (S. 40) Aber er weiß auch, dass er damit nicht auf breite Zustimmung stoßen wird: „Ihr nehmt diesen Vorschlag nicht an. Damit kann ich leben.“ (ebd.) Nicht leben kann der Kritiker allerdings mit den entlarvenden sprachlichen Aussetzern der Mächtigen, etwa mit dem Wort „Schübling“ oder mit „Suchtgiftige“, einem Begriff des ehemaligen Innenministers Franz Löschnak (die hochdeutsche Version des Wienerischen „Giftlers“). Auch den Wahlslogans kann er so manches abgewinnen: „Frauen und Kinder zuerst!“ lautete derjenige der SPÖ in Kärnten. „Zum erstenmal in der Geschichte der bürgerlichen Demokratien hatte eine politische Partei also mitgeteilt: ‚Wir sind ein sinkendes Schiff!'“ (S.11)

Doch Sprachkritik oder politische Polemik allein machen noch nicht die Qualität dieser Essays aus. Vielmehr ist es die bemerkenswerte assoziative Leichtigkeit, mit der Menasse Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft „unseres kleinen Landes“ zusammenführt und so Erkenntnisse ermöglicht, die weit über tagespolitische Einsichten hinausgehen. Ein Meisterwerk dieser Art ist der Beitrag „Masse, Medium und Macht“. Hier trifft Heimito von Doderer mit seinen „Dämonen“ auf die Prominentenlisten von „News“ und Wiens Altbürgermeister Zilk wiederum auf Elias Canettis „Masse und Macht“. Was will man mehr von einem knapp 16-seitigen Essay? Wer vom Nationalratswahlkampf schon jetzt genug hat, aber mehr wissen will über machbare Dummheit in Zeiten der politischen Macher, dem sei Menasses Band wärmstens empfohlen.

Robert Menasse Dummheit ist machbar
Begleitende Essays zum Stillstand der Republik.
Wien: Sonderzahl, 1999.
160 S.; brosch.
ISBN 3-85449-155-7.

Rezension vom 17.09.1999

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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