Dabei ist, wie stets bei Mayröcker und wie auch der Titel bereits andeutet, in da ich morgens und moosgrün. Ans Fenster trete die visuelle Dimension der Texte – das Schauen – essentiell. Erinnertes, Gesehenes, Wahrgenommenes wird in Text verwandelt. Eine ganze Galerie von Kunstwerken wird aufgerufen – immer wieder beispielsweise Arnulf Rainers Rückenkratzen – sodass der/die LeserIn versucht ist, nachzuschlagen, das Bild wieder in den Kopf zu holen. Nicht zuletzt wird auch das Schriftbild, ebenso eine Weiterführung von Mayröckers vorhergehenden Texten, zu einer visuellen Erfahrung: Kursivsetzungen, das altbekannte Mayröckersche ’sz‘, (visuelle) Abkürzungen wie das Ist-gleich-Zeichen =, Satzzeichen jenseits ihrer grammatikalischen Funktion, handgezeichnete Kritzeleien (immer wieder etwa eine Schere) und besonders Einrückungen, die die Textfläche in verschiedene Ebenen aufbrechen. Ab und an finden auch einzelne Worte weniger wegen ihrer Semantik Eingang in den Text als wegen ihrer Anordnung von Buchstaben und Lauten – etwa der ‚Papagei‘: „(sie fragte »weshalb Papagei? Wegen der Farben?«, »nein«, sage ich, »es ist nur das Wort! das Wort Papagei!«)“ (S. 86, 87)
Man ist dabei erinnert an Walter Benjamins Aussagen zur „Mehrsinnigkeit des Ornaments“ 1, das sich immer von mehreren Seiten betrachten lässt: „als Flächengebilde oder aber als lineare Konfiguration“, die, unterschiedlich kombiniert, eine „Vielzahl von Seiten, Inhalten, Bedeutungen“ 2 annehmen können. Mayröcker versieht ihre Texte mit Ornamenten, die verschiedene Interpretationswege der Texte eröffnen, alte, eingespielte Wege aufbrechen und den Text gleichzeitig fast haptisch werden lassen – man ist versucht, hineinzugreifen. Benjamin gelangt zu seinen Erkenntnissen zum Ornament bekanntermaßen in der Erinnerung an Opiumkonsum und vergleicht den Rausch mit einer kindlichen bzw. fiebrigen Wahrnehmung. Eine spielerisch-fiebrige Wahrnehmung ist es auch, auf die man in Mayröckers mehrdimensionalen Texträumen immer wieder stößt. Fieber und Fiebriges, drängende Hitze begleiten den Text genauso wie Wut und Tränen, manchmal Tränen der Wut. Dann kommen wieder Erinnerungen zurück, klar, als wäre es gestern gewesen, sich abwechselnd mit fast Vergessenem, nicht mehr Greifbarem. Die Zeit, und dies ist, wie hier anklingt, nicht nur eine Erkenntnis des Alterns, hält nicht still:
Es geht in da ich morgens und moosgrün. Ans Fenster trete, wie Mayröcker an einer Stelle feststellt, „um NICHTS und es geht um ALLES“ (S. 60), um die Widersprüchlichkeit und Mehrgleisigkeit des eigenen Denkens, Empfindens, Erinnerns und auch das Vergessen sitzt dem Text stets im Nacken. Mayröcker ist nie niedlich oder lieblich, aber auch nicht abgeklärt-zynisch, manchmal vielleicht etwas sentimental im besten Sinne. Zentral ist auch das Nachdenken über das eigene Schreiben: Das Suchen, Finden und Vergessen von Wörtern, Sätzen, Bildern des „Tintenfisch“ (S. 51) Mayröcker, der Tag für Tag versucht, der Sprache habhaft zu werden: „mit tausend Armen die Sprache locken heranlocken etwa, Schulter an Schulter“ (S. 60). Radikal subjektiv, ohne etwas erklären zu wollen, ist das Buch ein „Zungenstrausz“ (S. 34), ein Geschenk den Lesenden, Schauenden und Staunenden – und:
„[…] was zählt sind die unvollendeten
Sätze!“ (S. 156)
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1 Benjamin, Walter: Crocknotizen. In: W.B.: Über Haschisch. Novellistisches, Berichte, Materialien. Suhrkamp: Frankfurt a.M. 1972. S. 55-61, hier: S. 57.
2 Ebd.
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