#Roman

Landschaft in Beton

Jakov Lind

// Rezension von Clemens Ruthner

Unter Mördern und Irren: der Titel jener gleichnamigen Erzählung von Ingeborg Bachmann aus den 50er Jahren, die als literarische Vorhut den Schleier des NS-Vergessens zerriß, wäre auch vorzüglich geeignet, das Programm von Jakov Linds Roman wiederzugeben.

Sein zweifelhafter Antiheld, ein freundlich-dümmlicher Oger in der Uniform eines Unteroffiziers der Wehrmacht, heißt bizarrerweise auch Bachmann,den Vornamen Gauthier hat er flämischen Vorfahren zu verdanken. In sich trägt er einen Abgrund, eine Vernichtungsschlacht im Osten und die Erschießung von 2000 russischen Kriegsgefangenen.

Linds Eröffungstableau zeigt die Ardennen, eine Waldlandschaft „ohne Gesicht“, die Bachmann 1944 auf der Suche nach dem verlorenen Krieg durchforstet. Deutsche Militärpsychiater haben ihn für dienstuntauglich erklärt, doch der NS-Simplicissimus mit dem mörderischen Dachschaden will das Gegenteil beweisen, um sich ein neues „Zuhause“ an der Front zu verdienen. So geht auch seine Zufallsbegegnung mit dem Deserteur Schnotz für diesen böse aus, denn der bewährungssüchtige Unteroffizier ist derjenige, der das Todesurteil des Standgerichts an ihm vollstrecken wird. Zur Belohnung schickt der örtliche Kommandeur Bachmann nach Narvik, wo ein höflicher norwegischer Faschist sein Schützentalent in Anspruch nimmt. Ein Familienmassaker später endet des Landsers Irrfahrt schließlich in Honnef am Halse seiner Braut Helga, nach einer Tanzveranstaltung für Deutsche und „Ausländer“ – zu einer Zeit, die diesem Wort den widerlichen Mundgeruch rassistischer Ausgrenzung verliehen hat.

„Es gibt eine Seuche, die Mensch heißt“, hat Lind seinem Roman als Motto vorangestellt, bevor er uns mit dem Irrsinn seines Protagonisten infiziert. „Jeder kommt durch das Fegefeuer um, aber Gauthier Bachmann geht quer hindurch, als wäre es ein verbranntes Streichholz.“ Der literarische Auftrag des verrückten Mordsenthusiasten ist freilich, Licht in dieses Purgatorium zu werfen, den Wahn-Sinn der „vernünftigen“ Schreibtischtäter um ihn herum sichtbar zu machen; ein heikles Unterfangen, ist doch die Geschichte des 3. Reiches mehr als nur ein Fall für die Psychatrie. Nicht umsonst wird Bachmann kurz vor Ende des Romans geistig gesund geschrieben.

Landschaft in Beton, erstmals 1963 erschienen und von der Kritik damals mit verstörter Skepsis bedacht, wurde pünktlich zu Linds 70. Geburtstag wiederaufgelegt. Nach einer langen Odyssee, die ihn nach 1938 quer durch die Welt getrieben hat, lebt der Wiener Jude, der heute auf englisch schreibt, vorzugsweise in London. Mit seinem Verzicht auf eine politisch korrekte Opferperspektive und mit seinem rücksichtslos naiven bis sarkastischen Stil hat er eine ähnlich unbequeme Post-Holocaust-Literatur vorgelegt wie sein Landsmann Albert Drach. Mit dessen Hang zur literarischen Ruhestörung verbindet ihn auch das Verfassen einer radikalen Autobiographie, deren dritter Band „Im Gegenwind“ im Herbst 1997 bei Picus erschienen ist. Eine umfassende Würdigung dieses austro-britischen Autors steht freilich immer noch aus.

Jakov Lind Landschaft in Beton
Roman.
Wien: Zsolnay, 1997.
207 S.; geb.
ISBN 3-552-04833-2.

Rezension vom 21.03.1998

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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