#Roman

Mars im Widder

Alexander Lernet-Holenia

// Rezension von Daniela Strigl (Hrsg.)

Die Geschichte läßt sich altmodisch an: Ein Graf Wallmoden meldet sich zu einer Waffenübung, hat im Kreise seiner Offizierskameraden einige seltsame übersinnliche Erlebnisse und verliebt sich in eine höchst geheimnisvolle Dame mit „bemerkenswert schönen Beinen“. Brisanz gewinnt das Geschehen durch das Datum: „Die Hauptperson – um nicht zu sagen: der Held“ – erscheint am 15. August 1939 bei der Truppe, die im Norden Wiens stationiert ist. Exakt an diesem Tag trat auch der ehemalige Leutnant der k.k.Kavallerie Lernet-Holenia seinen Dienst in der Reichswehr an und fand sich mit einem Mal mitten im Polenfeldzug. Bereits am zweiten Tag verwundet (und später UK gestellt), begann Lernet noch im Dezember mit der Niederschrift des Romans. Mitte 1941 verbietet das Propagandaministerium die Auslieferung, die gesamte Auflage von 15 000 Stück wird im Keller von S. Fischer gelagert und verbrennt bei einem Luftangriff. Nur mit Hilfe eines geretteten Fahnenexemplars kann Mars im Widder 1947 ein zweites Mal gedruckt werden.

Nicht zuletzt diese Hintergründe machen die Lektüre der nun zum 100. Geburtstag des Autors präsentierten Neuausgabe spannend. Denn Goebbels hat mit seinem Verbot sicheren Instinkt bewiesen: Mars im Widder enthält auch nicht den Funken völkischer Hoffnung. Die visionäre Empfindsamkeit eines „gesteigerten Zustands“, die schon in Hofmannsthals „Reitergeschichte“ den denkbar größten und gefährlichsten Gegensatz zur militärischen Ordnung darstellt, bemächtigt sich des Helden. Der Mars glüht rot am Himmel, allenthalben mehren sich unheilvolle Vorzeichen. Das „gleichförmige Grau von jetzt“ verblaßt vor den roten Hosen der einstigen Reiterei. Der Krieg tritt als sinnlose Unterbrechung des Zivillebens auf, denn Wallmoden muß (wie der Held von Lernets berühmter „Standarte“) die Frau aufgrund des Marschbefehls verlassen, ehe er sie erobert hat.

Erobern soll er dafür Polen – der Überfall erscheint, im offenen Gegensatz zu Hitlers Lügen, von langer Hand geplant. Der Aufmarsch vollzieht sich in einem unwirklich anmutenden „Zwischenreich“ voll Staub und Hitze. Lernet, der sich in der detailliert sachlichen Beschreibung des Kriegshandwerks an sein Tagebuch hält, betont die mangelnde Gegenwehr der überrumpelten polnischen Armee ebenso wie den Mut ihrer Offiziere. Das Gesicht eines feindlichen Postens erinnert Wallmoden an jene Kröten, die er einst zum Krebsefangen „erschlagen hatte und die, ehe man sie erschlug, unbeweglich dagesessen hatten, als ob sie im Recht seien. Und irgendwie blieben sie, auch wenn sie tot waren, noch im Recht.“ Knapp vor dem Angriff formieren sich Tausende über Land marschierende Flußkrebse zu einer irritierenden Vision, in der sich die Apokalypse ebenso entdecken läßt wie die vorrückende Wehrmacht oder aber eine künftige Panzerattacke aus dem Osten. Und als sollte das nicht genügen, um das Buch für die Nazis unannehmbar zu machen, entpuppt sich die Frau, die bei ihrer Verhaftung durch die Polizei den Tod findet, auch noch ganz offenkundig als Widerstandskämpferin.

Mag sein, daß der Facettenreichtum von Mars im Widder sich auch der Zensur verdankt. Lernet verpackt die illusionslose Darstellung des Kriegsbeginns und die defaitistische Distanz zur Volksgemeinschaft im Gewand eines phantastischen Abenteuerromans, er schmiedet Fatalismus und Kavallerie-Nostalgie zu einer politischen Spitze gegen die Machthaber. Was ihm damals Verlust gebracht hat, sollte heute Gewinn bedeuten: Es wäre an der Zeit, Alexander Lernet-Holenia vom Image eines vertrottelten Graf Bobby der österreichischen Literatur zu befreien.

Alexander Lernet-Holenia Mars im Widder
Roman.
Wien: Zsolnay, 1997.
224 S.; geb.
ISBN 3-552-04870-7.

Rezension vom 31.10.1997

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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