Marie Laurenti bezeichnet ihre Gedichte vorwiegend als „Lieder“ und ordnet sie thematisch in drei Teile zu je etwa 15 Gedichten, die oft mit kaum 15 Worten auskommen. Es sind Kriegs-, Schmerz- und Liebeslieder, die Lieb und Leid im übertragenen Sinn besingen. Das „Lied“ ist die schlichteste Form der Lyrik und behandelt den Ausdruck des „reinen“ Gefühls, was bei Laurenti weniger auf die Form als auf den Inhalt der Gedichte zutrifft.
Kriegslieder bestimmen den ersten Teil des Buches „Anders ist wo“. Offensichtlich bezieht sich die Autorin auf den Krieg im ehemaligen Jugoslawien (Kriegslied 99/1, Memorandum krajinum). Einerseits geht es um den Schmerz des Krieges schlechthin, der schon einmal und immer wieder gewesen ist (Déjà vu 1). Andererseits geht es auch um das Mitleiden mit einer bestimmten Person, durch die sich das Leid und die Angst mitteilt: „Das habe / ich nicht gesehen das / weiß ich wer / anderer war / dort“ (Winter)
Im zweiten Teil „Die Polen frosten meinen Traum“ verstärkt sich die Annahme, dass es sich um den Geliebten handelt, der nicht mehr wieder kehrt: „Am Ufer / des Tags / im Zwiegespräch / die Vögel und ich / und du / am Ufer / der Nacht“ (Schmerzlied 13). Die Sprache ist karg und erstickt beinahe am Schmerz. Ein Schmerz, der einhergeht mit der übervollen Symbolik hoffnungsloser Trauer („mein Haar verwaist“, „aus den Gräbern blüht die Bleiche“, „Kein Phönix / haust / im Staub“). Der Tod geht um. Hier verschließt sich letztendlich die Sprache und deren Bedeutung in undurchdringlicher Schwermut (Schmerzlied 11 – L’amore perduto).
Erst der dritte Teil „Allen Physikalien zum Trotz“ bringt eine Wende. Trotz allen Schmerzes ist das Glück noch möglich, das Glück, das in der Liebe ist („küßtest die Härten mir weich“). Hier darf sich die Sprache lockern, darf schwelgen im glücklichen „Traumbild“ und spielen im „Notturno“. Aber auch in diesem Abschnitt der Hoffnung und des Neubeginns liegt Laurentis Stärke in der Kürze des Textes: „Die / Leidenschaft / der Trauben / verlangt nach / deinem Mund // Komm / in den / Weinberg // Lies / die Grammatik“ (Herbstzeitlose – Privatissimum). Hält man sich beim Lesen an die willkürlichen Pausen der Zeilensetzung, verdoppelt sich die Intensität der Worte. Jedes Wort verlangt nach der Spürbarkeit seiner Bedeutung. Das gilt sowohl für die Liebes-, als auch die Schmerzlieder.
Laurenti spielt mit Sprache auf höchstem Niveau. Klassische Allgemeinbildung ist gefragt (ein lateinisches „A priori“ von Catull läßt mich scheitern, ebenso wie Anspielungen auf „Die Zelte Kedars“ und für „Narde“ muss ich im Wörterbuch nachschlagen, – eine duftende Blume), wenn man nicht alle Feinheiten versäumen will. Andererseits wird lustvoll die eigene Vorstellungskraft gefordert, verweilt man beim lyrischen Umbruch konventionalisierter Sprachbilder und dem Spiel mit neuen Wortidentitäten: „Die Wasseruhr / schlägt die / Gezeiten“ oder „Wir tranken Wortwein / wurden trunken“ oder „Die halbe Münze / Mond verbrämt / den Wald“.
Dass Paul Celans Dichtung Eingang in der Autorin Herz und Sprache gefunden hat, erkennt man nicht nur an ihrer Widmung des Schmerzliedes Nummer 10. Ihre Kunst suggestiver Wortschöpfungen (Herzgranit, Salzbaum, Sternkarren, Frühschwarz), die sie über die Adjektiva (sommerleise, schmerzversaufend) hinaus auch auf die Verben ausdehnt (rispen, frosten, entblöken) ist deutlich an Celan geschult. Auch Laurenti nützt die expressive Bildkraft, die in der Verknüpfung von tradierten Bedeutungseinheiten zu neuem Sinn entsteht. Individualität und Originalität erhält Laurentis Lyrik in ihrer deutlichen Hinwendung auf ein „Du“, dem sich die dichterische Stimme in vorbehaltloser Freude oder Trauer verschreibt.
Der Autor Robert Schindel schreibt ein poetisches Nachwort über das Universum der Dichterin, die 1955 in Wien geboren wurde und in Gmunden lebt. Es sei „betretbar“ meint er abschließend und er hat recht. Das Universum von Marie Laurenti eröffnet sich, nimmt man sich nur die Zeit für Zeitloses.