#Theater

Golem Now

Hilde Langthaler

// Rezension von Helmuth Schönauer

Jede Epoche hat ihr spezifisches Material, aus dem die jeweiligen Mythen und Träume geformt sind. Während der archaische Golem in der jüdischen Überlieferung aus Ton und Lehm geformt wird, baut man den Golem der Gegenwart offensichtlich aus Chips mit hauchdünnen Spezial-Legierungen zusammen. Der künstlich geschaffene Mensch der „Jetztzeit“ ist eine virtuelle Erscheinung, die ununterbrochen mit verbesserten Programmen aufgebaut und am Leben gehalten werden muß.

In Hilde Langthalers Stück Golem Now scheitert das Paar Hanna und Helmut an den modernen Lebensbedingungen.

Während Hanna glaubt, daß man zumindest einen Teil des Lebens in einem haptisch erfahrbaren Zustand verbringen sollte, damit Dinge wie Liebe, Zukunft und Sinn ein „Verfestigungs-Gerüst“ haben, ist Helmut bereits längst in eine virtuelle Welt abgetaucht.
In der Kleinwohnung, die in der Ausstattung exakt dem gekürzten Budget von Kleinbühnen entspricht, spitzt sich die Lage während des Stückes zu. In der ersten Phase haben etwa die Äpfel, die Hanna anbietet, und Helmuts Hardware immerhin noch eine Gemeinsamkeit, beide mußten auf dieser Welt mit irdischem Geld gekauft werden. In der Folge stellt sich heraus, daß in der Beziehung des Paares offensichtlich Äpfel mit Birnen verwechselt werden.

Helmut ist durch seine Computerprogramme mit der ganzen Welt verbunden, aber von der wenige Meter entfernt um Fassung ringenden Hanna kontinental weit entfernt. Informationen, die ganze Archive füllen könnten, werden in Sekundenschnelle abgerufen, mit den Augen gescannt und wieder gelöscht. Gegen diese Welt-Datei nimmt sich die Allerwelts-Datei der Realität richtig mickrig aus.

Zwischen einem Beschuß einer F-16 und einer DNA-Analyse besteht kein Unterschied mehr, wenn man in die digitalisierte Welt eingetreten ist.
Das muß Hanna letztlich einsehen, und sie zerstückelt Realität und Virtualität mit Messerstichen am Ende zu Computer-Schrott.
„…das menschliche gehirn mit einem extrem künstlichen gehirn verknüpfen…stirbt auch der mensch, wird die persönlichkeit auf einer festplatte weiterleben. sie wird zu dingen fähig sein, die bisher unvorstellbar waren…“ (S. 42)

Hilde Langthalers Stück geht vordergründig der Frage nach, wie man eine Partnerschaft auf die Beine stellen soll, wenn die Chemie nicht mehr stimmt. In dieser Fragestellung ist inkludiert, wie man zwischen einem digitalen Weltnetz authentische Sätze wie „ich liebe dich“ oder „ich habe Hunger“ unterbringen soll.
In einer zweiten Ebene geht es darum, den Zustand der Welt mit dem eigenen Zustand in Konkordanz zu bringen. Für diesen Zweck sind im Theaterstück Originalzitate aus Zeitungen, Zeitschriften, Büchern und Lexika eingeblendet, die Drucknachweise dieser Quellen sind im Anhang angeführt.
Und auf einer dritten Ebene geht es schließlich darum, wie das Theater mit realen SchauspielerInnen eine Internet-Welt darstellen kann. Das Theater macht sich also auf die Suche nach den Grenzen des Theaters.

Golem Now ist ein realistisches Theaterstück oder ein Stück theatralische Realität. Raffinierterweise ist es so geschrieben, daß seine Aktualität durch tägliche Ergänzung jederzeit à jour gehalten werden kann.

Spätestens beim nächsten Handy-Telefonat wird sich der Leser fragen, ob nicht selbst ein Teil von Golem Now sei.

Hilde Langthaler Golem Now
Stück.
Wien: Triton, 2000.
47 S.; geb.
ISBN 3-85486-046-3.

Rezension vom 19.06.2000

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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