Die meisten Österreicher wissen kaum etwas von der Situation der Asylwerber in ihrem Land. Wer etwas darüber wissen will, sollte Ludwig Lahers aktuelles Buch Verfahren lesen. Zum Beispiel: Jelena Savicevic ist Kosovo-Serbin und hat in ihrer Heimat alle nur vorstellbaren Leiden hinter sich: Angehörige einer Minderheit, Vater weg, Mutter tot, Geschwister bei einem gelegten Feuer ums Leben gekommen, Entführung und Vergewaltigung und schließlich daraus resultierende schwere psychische Probleme und zwei Selbstmordversuche. Sie will in Österreich ein neues Leben anfangen. Sie verfügt sogar über einen Schulabschluss – der Staat Österreich, repräsentiert durch Gesetze, Anwälte und Richter, findet allerdings nicht, dass Jelena ausreichend Gründe hat, nicht in ihrer Heimat und stattdessen in Österreich leben zu wollen oder gar zu müssen.
Ludwig Laher macht es sich aber nicht bequem und schildert einfach die traurige Geschichte von Jelena; er lässt in jedem Kapitel eine andere Figur und somit auch einen Anwalt und einen Richter zu Wort kommen. Dr. Zellweger etwa ist kein reiner Bürokrat. Er will die Fälle der Asylwerber wirklich kennenlernen. Er will die Situation im jeweiligen Herkunftsland verstehen, er berücksichtigt sogar Missverständnisse, die durch Fehler des Dolmetschers entstehen können: „Einmal soll der Mann ausgesagt haben, er ist in einem Bauernhof festgehalten und gefoltert worden, später war es ein Unternehmen, eine Fabrik […]. Das ist natürlich […] total unglaubwürdig. Ich frage also meinen Dolmetscher […]. Und tatsächlich, die beiden Wörter für Bauernhof und Firma unterscheiden sich bei denen nur durch ein e und ein i.“ (Seite 57) Er ist keiner, der alle über einen Kamm schert, er will wirklich herausfinden, ob jemand Asyl in Österreich verdient und braucht oder nicht. Er weiß, dass er es nicht allen recht machen kann, bemüht sich aber trotzdem. Er hat vielleicht ein bisschen wenig Rückgrat, ist aber keiner von denen, die aus purer Bösartigkeit handeln. Kann man ihn für irgendetwas verantwortlich machen?
Zusätzlich zu den ausführlich behandelten Fällen und den vielen grob skizzierten Schicksalen zieht Laher eine Parallele zu einer jüdischen Familie, die vor den Nazis aus Wien flüchtet und Asyl im Ausland erhält. Er erzählt in groben Zügen das Leben des 1938 noch sehr jungen Kurt, der als 85-Jähriger auf ein insgesamt doch glückliches, zumindest ereignisreiches Leben zurückblicken kann. Die Parallele allein reicht Ludwig Laher aber dann doch nicht, er lässt die Leben sich kreuzen; als hätte er die Trostlosigkeit seines Buches nicht ausgehalten, also wollte er den Leser am Schluss doch nicht in purer Tristesse sitzen lassen, gönnt er Jelena einen kleinen Hoffnungsschimmer in Form finanzieller Hilfe durch den greisen Kurt und in Person einer jungen Frau, die Jelenas Freundin wird. Das ist, wenn man etwa an die Durmisis oder an Ute Bock denkt, durchaus realistisch. Ein Elend ist es trotzdem.