Allerdings handelt es sich beim Katalog auch um eine der ältesten literarischen Formen. Die griechische und römische Antike, ebenso altnordische Dichtungen haben die Form des Kataloges in verschiedensten Füllungen praktiziert. „Wegen des klangsinnlich- exotischen Reizes der Nomenklaturen“, ist einem Literaturlexikon zu entnehmen, trete der Katalog auch in der neuzeitlichen Literatur gelegentlich auf – und gerade dieser hier angesprochene Reiz hat starken Anteil an der Faszination, welche Margret Kreidls Texte ausüben.
Die nicht nur vielversprechende, sondern vor allem viel bietende Autorin, die vor drei Jahren mit dem für kompromißlos avanciertes Schreiben verliehenen Reinhard Priessnitz-Preis und vor kurzem mit dem großen Salzburger Literaturstipendium ausgezeichnet wurde, ist weit davon entfernt, dem zeitgemäßen Wesen vom Katalog ein puristisches Werk der „Merkdichtung“ entgegenzuhalten. Nicht von ungefähr ziert das Cover ihrer jüngsten Publikation ein kleiner Bildausschnitt aus dem „Universal-Katalog Herbst/Winter 1997“.
Wer Margret Kreidls bisherige Texte kennt, wird sich nicht wundern, die Aufzählung, das Verzeichnis nun zur Gattung erhoben zu finden. Welches Gerüst könnte besser zur Kreidlschen Parataxe passen als die zum Prinzip erhobene, lässig perfektionierte Aneinanderreihung? Ein weiterer Aspekt liegt im Inhaltlichen, ist der Katalog im landläufigen Sinn doch dem Gewöhnlichen, dem Materiellen, nicht zuletzt dem Weiblichen als Subjekt und Objekt des Kataloges verbunden. Präsentation und Repräsentation des Körperlichen finden sich ironisiert im „universalen“ Angebot des Kataloges.
In sechs locker drapierten „Bildern“ läßt Kreidl uns blättern in „Portraits“, „Auftritten“, „Geständnissen“, „Szenen“, „Träumen“ und „Sätzen“. Dem „universalen“ Vorsatz Rechnung tragend, floatet die Anrufung der Dingwelt von der Speisekammer zum Kontaktmarkt, von Stilleben zu populärpsychologischen Affirmationen, vom Talkshowtalk zur Botanik, vom Traumprotokoll zur Wind- und Wolkenkunde. Allein „Rosen, männlich“ und „Tische, weiblich“ ziehen sich in schlichtem Kippen des grammatikalischen Geschlechtes von einem Bild ins andere.
Gelegentlich klingt bei der Lektüre ein Moment nahezu Steinscher sprachlicher Eleganz an – und dies nicht nur, wenn von den Rosen die Rede ist („Die Tasse ich spreche von der Tasse die Tasse mit dem Rosenmuster die Tasse mit den Rosen die Rosentasse“, S. 7 – oder, ganz abstrakt: „FÜNF ROSEN / Zeichnung, Bleistift, Papier. Zeichnung, Bleistift, Papier. Zeichnung, Bleistift, Papier. Zeichnung, Bleistift, Papier. Zeichnung, Bleistift, Papier.“, S. 14). Gerade Gertrude Steins „Alphabets and Birthdays“ könnten Patin gestanden haben für Passagen brillanter Redundanz wie „Mein Garten“ (S. 96f.) oder „Drittes Bild“ (S. 43). Noch ein anderer Prätext deutet sich beim Lesen an: Die interpunktionslos aufgefädelten Namen und Nomina aus Monique Wittigs 1968 erschienenen „Les Guerillères“, einem Kultbuch des literarischen Feminismus, evozieren ähnlich wie die verb-armen Schöpfungen Kreidls einen Kosmos des Dinglichen und Sinnlichen; auch die Gestalt der knappen Schriftblöcke ist Kreidls Textorganisation vergleichbar.
Als Guerillera an mehreren Fronten hat sich Margret Kreidl schon in ihrer vorigen Publikation „Schnelle Schüsse“ zu erkennen gegeben: Dort knackt sie klischeehafte Form und inhaltliche Gemeinplätze trivialer Erzählmuster von innen. Subtiler, doch nicht minder kraftvoll (und „in allen Einzelheiten“!) betreibt Kreidl in ihrem neuen „Katalog“ den Kampf gegen unreflektierte Sprachschablonen, sprachliches Design und gegen allgegenwärtige, allumfassende Topoi von Selbstdarstellung und Fremdwahrnehmung der Geschlechter.
Kreidl schreibt an gegen Styling und Ästhetisierung – ohne in ihren Inventarisierungen auf die suggestive Kraft und Ausstrahlung solchen Hochglanz-Wortmaterials zu verzichten. Knatterte die Autorin in ihren komprimierten Krimiminiaturen so atemlos wie systematisch von einem „Schuß“ zum nächsten, läßt sie der Sprache und den Bildern in ihrem neuen, statischen Text mehr Raum, sich zu entfalten und mit seltsamem Nachhall zu verpuffen.
In ironischer Anpassung an das marketingorientierte Diktat der Saisonen hat Kreidl ihre neue Publikation als „Frühjahrskatalog“ bezeichnet. Das Lesepublikum darf hoffen, in einem der nächsten Verlagskataloge wieder Stoff der Marke „Kreidl“ angekündigt zu finden.