Komarek freilich wird und kann sich auf seine redlichen Bemühungen berufen, die von ihm inszenierte Idylle zu brechen. Schließlich ist er für diese Strategie stets gelobt worden. Doch war es bisher die sozuagen realistische Note, die seine kundigen Beschreibungen von althergebrachten Werkzeugen und Bräuchen aus Polts Welt hinter den sieben Bergen ausgezeichnet hat, so kann man sich nun nicht mehr sicher sein: Hat Komarek auf dem Weg, seine Schreibe zu perfektionieren, einen weiteren Etappensieg gegen sich selbst errungen? Oder ist er zu weit gegangen, das heißt: hat er die zivilisationskritische Regression zu weit getrieben? (Warum müssen Figuren wie Heinz Hafner, die aus der Großstadt kommen, den Dörflern gegenüber immer als zynisch erscheinen?) Oder geht es gar um Selbstparodie?
Dafür dürfte der Ton des Ganzen zu ernst sein, sozusagen zu wein-ernst, und es ist fraglich, ob der Erfolgsautor sein eben erst gewonnenes Publikum gleich auf Distanz halten möchte. Wie immer, die Beschwörung des Lauschigen, Zurückgezogenen, Versonnenen und Erbaulichen wirkt allmählich aufdringlich und unglaubwürdig; vor allem das Gehabe der Personen wird zu stark nach dem Figureninventar von Bauernpossen ausgerichtet. Um nur ein Beispiel zu geben: Anlässlich des unvermuteten, nach vielen Jahren erfolgenden Zusammentreffens von zwei erwachsenen Menschen springt der eine „so heftig“ auf, „daß er beinahe den Tisch umgestoßen hätte.“ (S. 48) Darauf gibt es nur eine Reaktion: „Die Köchin gab keine Antwort. Sie ließ die Suppenschüssel fallen und ging mit steifen Schritten davon.“ (S. 49) – Outrieren nennt man so etwas am Theater.
Im Übrigen wird oft wenig gesprochen und passagenlang geschaut, mit begehrlichem Wohlwollen oder aus leeren Augen oder stumm ins Gesicht geblickt, ein Blick fallen gelassen, nachdenklich geschaut, bedeutungsvoll geblickt, gesehen, beobachtet, alles gesehen, noch einmal ins Gesicht geschaut und noch einmal, an-, hinüber-, her-, auf-, um- und hinaufgeschaut, das eine und andere Auge geschlossen, ehrfürchtig betrachtet, etwas gesehen (mitunter zum letzten Mal!), etwas mit einem raschen Seitenblick getan, mißlaunig in die Runde geschaut, jemandem ein rascher oder scheuer Blick zugeworfen, aufmerksam betrachtet usw. usw. Es mag sein, dass hier ein fataler Rückkoppelungseffekt der TV-Verfilmung von „Polt muß weinen“ (1998/2000) vorliegt und Komarek dem Missverständnis aufsitzt, die filmästhetisch wichtige Blickführung ließe sich auf diese Weise in Literatur übertragen.
Für diese Vermutung spricht auch, dass im vorliegenden Roman das häufig notierte Nicken und Neigen von Köpfen an die beliebte Reduktion des mimischen Repertoirs von FilmschauspielerInnen erinnert. Solche Stereotypien mögen zwar bewusst minimalistisch, in diesem Sinn realistisch gemeint sein – und Alfred Komarek wird seine Pappenheimer schon kennen -; das Lesevergnügen wird jedenfalls getrübt.
Nicht von ungefähr steht der Name des Protagonisten im Buchtitel zwischen Himmel und Hölle. Diese Position trifft nämlich die prekäre Situation, in die Simon Polt weniger als Detektiv, sondern zuallererst als Entwurf geraten ist. Man darf gespannt sein, ob und wie es gelingen wird, die erkennbaren Gefahren einer frühen Banalisierung seines Typus abzuwehren, oder ob es sich bald empfiehlt, ihn in der Versenkung verschwinden zu lassen, wo viele seiner berühmten Vorgänger längst warten.