Der Titel dieses Bandes, der eine Sammlung verstreut erschienener oder lange Zeit vergriffener Texte Werner Koflers enthält, ist derselbe wie jener des Wagenbach-Bandes aus dem Jahr 1980. Man gewinnt also mit dieser neuen „Wildnis“ einen Überblick über beinahe zwei Jahrzehnte Koflerschen Schaffens abseits seiner großen Prosaarbeiten, der „Rowohlt-Trilogie“.
Aus der Wildnis beginnt mit einer Erstveröffentlichung, mit einer „Jugendliches Irresein“ betitelten Miniatur. Es handelt sich um eine Montage aus Satzfetzen, die mit großem Sprachpathos einen „hohen Stil“ imitieren („die Gespräche der Legföhren an einem tückischen Morgen im März“), wie er etwa aus Christoph Ransmayrs Büchern bekannt ist. Die Montage, die in einer Art Schreibübung gehalten ist, ergibt ein „irres“ Gestammel, es geht um das Ausstellen einer Sprech- bzw. Schreibweise.
Wollte man es abwertend ausdrücken, so wirkt die Textsammlung inkohärent, willkürlich zusammengetragen, andererseits zeigt der Band vor allem die Verschiedenheit und Variationsbreite der Prosa Werner Koflers. Die Bandbreite reicht von den Manierismen des Bundesheer-Textes „Am Kagalnik“ bis zur bissigen und dabei höchst einfach inszenierten Parodie eines Erich-Fried-Gedichtes. Letztere betitelt Kofler mit „Unsinn, Dekonstruktion“, obwohl sie dem Wortlaut des Gedichtes ziemlich genau folgt, die Verse nur jeweils verschiedenen Figuren eines Kasperltheaters in den Mund legt. Bei dieser „expliziten“ Dekonstruktion dekonstruiert Kofler im Grunde weniger als bei seinen „eigenen“ Prosastücken (wobei die Grenzen fließend sind, kaum ein Text Koflers ist frei von „intertextuellen“ Bezügen). Die hier versammelten Texte lesen sich wie Exkurse über die Unmöglichkeit zu schreiben oder zusammenhängend zu erzählen; und sie liefern einen erneuten Beweis der Präzision des Autors.
„Im Speisewagen – Eine Irritation“ bringt einen Reigen an Banalitäten und scheinbar nebensächlichen Beobachtungen während einer Bahnreise, scheinbar wahllos aneinandergereiht, aber hier ist Prägnanz und Kalkül am Werk, der Text sagt sehr viel über die menschliche Wahrnehmung aus. „An der Eingangstür, neben der Toilette, stand ein Soldat.“ Diese Beobachtung im Vorbeigehen ist vorerst an Flüchtig- und Unwichtigkeit kaum überbietbar, gewinnt aber durch das zweite Ansichtigwerden des Soldaten einige Zeit (Zeilen) später an Kontur im Gedächtnis und damit den Erzähler zur Orientierung. Zwei Seiten später wird das Fehlen dieses Details schon mit Besorgnis zur Kenntnis genommen, als dann an anderer Stelle wiederum ein Soldat, aus der Toilette tretend, auftaucht, der nicht sicher derselbe wie vorhin zu sein scheint, ist eine jener Situationen geschaffen, die geeignet sind, uns – scheinbar – unmotiviert aus der Fassung zu bringen.
Der Blick auf dieses Nebenmotiv zeigt, welche Stärke selbst den Details im Koflerschen Schreiben innewohnt. Der Kurztext „Wie ich meine römische Geliebte …“ demonstriert das auf ebenso beeindruckende Weise. Bereits der Titel ist Programm, wobei die Attribute von großer Bedeutung sind, es wäre natürlich etwas völlig anderes, verlöre der Erzähler seine Berliner Freundin an den echten Handelsattaché. Er hält die Balance zwischen Selbstironie („nicht ohne Belustigung“) und tiefer Melancholie („nicht ohne Verzweiflung“), selbst das kitschige Schlußbild ist zweideutig.
Wie auch immer man über das Zusammenwürfeln von Texten denken mag, außer Diskussion steht, daß alle Werke dieses Erzsatirikers und ganz Großen der österreichischen Gegenwartsliteratur greifbar sein sollten – für seinen Anteil an diesem Unternehmen gebührt dem Deuticke-Verlag Dank.