„Neuer antiker Beginn“ ist der erste Teil seiner posthum erschienenen Trilogie neu antik überschrieben. Das Motto über dem gleichnamigen Titelgedicht zitiert John Keats. Schönheit sei Wahrheit und Wahrheit Schönheit, verkündet Keats in seiner „Ode an eine griechische Urne“. Dies sei das einzige, das man auf Erden wissen könne und zugleich alles, was man zu wissen bräuchte. „Es ist alles lächerlich, wenn man an den Tod denkt“, meint man das Echo Thomas Bernhards widersprechen zu hören. „vom schrecken / zerrissen“ wirst du es dennoch verteidigen müssen, ruft sich der Dichter in Koflers Antwort-Versen selbst Mut zu – mit aller gebotenen Ironie und dem notwendigen Ernst. Denn ohne den Widerspruch kann man nicht leben, weiß Kofler. Und ohne Utopie kann man nicht dichten, so die Überzeugung des Autors.
Meer und Gesang, Erinnerung und Poesie stehen in Koflers Versen für das antike Ideal. Sie bilden die poetische Gegenposition zu den alltäglich dominierenden Geschäften, Betrügereien, Kriegen und dem alles nihilierenden Vergessen. Sie sind die Basis seiner antiken Poetik. Denn „glücklich zu sein in der grausamen welt / war der versuch der antike / und wir antik und neu in rückkehr / sind mit bewegter stimme losgefahren“. Die „antike demut“ lässt immer wieder den Tag erstrahlen. Sie gibt dem Dichter jeden Tag neu den Mut, mit seinen Versen gegen die ernüchternde Realität anzuschreiben. Seine Bestätigung ist die „unermessliche / gewißheit / im augenblick / des gesangs“. Das lyrische Ich ist sich sicher: „Der Gesang ist da auch wenn er verborgen“. Gemeinsam mit dem Meer wird er uns, die Dichtung und die Erinnerung überdauern.
Poesie, auch das ist eine „antike neue Erfahrung“, ist immer auch politisch. Nach Koflers Verständnis hat Lyrik deshalb die Aufgabe, „von frieden / zu singen / ohne / schlagzeilen“. Folgerichtig überschreibt Kofler den zweiten Teil seiner „Trilogie neu antik“ mit „Friedensversuche und -verträge“. Die Verse richten sich aber nicht nur gegen „kriegstöne“ und „berichterstattergeschäft“, gegen Politik und Medien und ihren großen „verkauf von waffen und nachrichten“. Schon früh schließt das lyrische Ich einen ganz persönlichen Friedensvertrag mit seinem Vater. Die Poesie ist für Kofler der Versuch zu lieben, ohne Krieg zu führen – nicht gegen andere und nicht gegen sich selbst. Ihm geht es darum, seine Stimme zu erheben, „um das meer wieder zu bringen zum singen für die erde“.
Die Quelle seiner poetischen Arbeit ist die Liebe. Seiner „Lebensliebe“ widmet Kofler daher den dritten Teil der Trilogie. In klassisch anmutenden Vierzeilern besingt das lyrische Ich, wie wichtig die Begegnung mit seiner Frau nicht nur für die persönliche Entwicklung, sondern auch für seine Poesie war: „in deiner liebe widersteh ich / antikes licht das fließt auf dich zu / um zu verjüngen mir den blick die stimme / und ich sag zum vers: bewundere und ruhe“. Die langen harmonischen Verse und die zugleich sinnliche und abstrakte Bildwelt sind Liebeserklärung und poetisches Manifest zugleich.
Im Kontrast dazu stehen die überwiegend kurzen Zeilen der vorhergehenden Gedichte. Fast Wort für Wort fallen die ansonsten grammatikalisch vollständigen Sätze tropfenweise von Zeile zu Zeile. Schweigen schiebt sich zwischen die Verse; eine manchmal meditative, oft aber auch bedrohliche Stille. Ein ständiges horchendes Innehalten, innerhalb dessen jeder Begriff auf seine Gültigkeit überprüft wird. Den vielen Sollbruchstellen im Enjambement entspricht die bewusste Brüchigkeit der von Kofler selbst übertragenen deutschen Fassung. Wort für Wort, Zeile für Zeile folgt die Übersetzung dem italienischen Original und wirkt dadurch oft holprig. Ein gezielter poetischer Verfremdungseffekt des zweisprachig aufgewachsenen Autors und Übersetzers Gerhard Kofler, durch den jeder Vers zusätzlich auf die Probe gestellt wird.
Auf den ersten Blick schlicht erscheinende Inhalte bekommen so einen „doppelten Boden“. Zusammen mit dem Fehlen typisch poetischer Bilder und lyrischer Metaphern – vom lyrischen Ich als „formeln / der magie / in den löslichen / surrogaten“ ironisiert – entsteht der Effekt einer irritierenden poetischen Abstraktheit. Die Gedichte wirken manchmal wie zeitlose lakonische Aphorismen, andererseits oft wie erst noch zu entziffernde rätselhafte Zauberformeln. Koflers Gedichte entwickeln bei mehrfachem Lesen eine seltsame Eigendynamik: Immer, wenn sich eine eindeutige Lesart herauszukristallisieren scheint, wird sie beim erneuten Lesen wieder in Frage gestellt. Das macht Koflers Gedichte, den japanischen Haikus ähnlich, einfach und hermetisch zugleich. Nicht zufällig fordert das lyrische Ich in dem Gedicht „antike neue Erfahrung“: „den ungewissen / punkt / retten wir ihn“.