Hier der Versuch einer Chronik: Gregor Sambs, 42 Jahre alt, wohnt in der Stahlstadt L. Aufgewachsen ist er im Irrenhaus, als Sohn des Verwalters. Er hat ein Stiftsgymnasium besucht, als Einkäufer in der Landesblindenanstalt gearbeitet und bereits mit seinem literarischen Debüt wurde Sambs als großes Talent gefeiert. 1992 gelang ihm der Sprung auf die deutschen Bestellerlisten, 1995 erhielt er den hochdotierten Neruda-Preis. Danach ging’s nur noch bergab: Alkohol, eine gescheiterte Ehe, seine Kinder nehmen ihn nicht mehr zur Kenntnis – Gregor Sambs wird unsichtbar. Der Alkohol „hatte ihn: verschwinden lassen“, heißt es, „während vor dem Blick des Gregor Sambs die Welt verschwamm, entschwand der Mensch aus jedem Blickfeld anderer.“ Gregor Sambs leidet – wie er sagt – an der „Verwandlungskrankheit“, nur ist er eben nicht wie Kafkas Gregor Samsa zum Käfer, sondern unsichtbar geworden – dafür sitzt er immerhin bei Bärbl Käfer in der Talk-Show, wird im Lauf der Handlung von einem VW Käfer angefahren und mit seinem Buch „Dachschaben“ hatte er seinen ersten Mißerfolg gelandet.
Aber Sambs ist nicht nur von Kafka geprägt. Bereits mit 15 erlitt er mit bei der Lektüre von Max Frischs „Stiller“ einen ersten Identitätsverlust, mit dessen Schilderung Kislinger komische Anklänge gelingen.
Identität und Wahrnehmung, Realität und Täuschung – in dem Umfeld von Sein und Schein setzt Kislinger an mit einer Kritik an der Mediengesellschaft. Mit Erinnerungen an eine Kindheit und Jugend zwischen „Wünsch dir was“, „Dalli, Dalli“, „Bonanza“, „Lassie“, „Fury“ und „Flipper“ schreibt er seine eigene Fernsehsaga bis zu den Schlagzeilen der Talkshows von Arabella, Andreas Türk oder Hans Meiser: „Du bist eine Rabenmutter, Ricky“, „AIDS, ich lebe trotzdem weiter“ oder eben „Gregor Sambs. Kann ein Mensch erscheinen“ – die Show von Bärbl Käfer, bei der Gregor jetzt eben auf der Couch sitzt und sein Leben Revue passieren läßt, eine Biografie, in der – wenig verklausuliert – die von Harald Kislinger zu erkennen ist.
Die Höhen und Tiefen von Kislingers Karriere muß auch sein Protagonist durchleben. Wenn die Leute in ausverkauften Gemeindesälen und Stadtbücherein bei Gregor Sambs Lesung von Gedichten wie „Köchinnenbesteigen“, „Innereien“ oder „Der Gang zum Stuhl“ vor Begeisterung toben und der Autor seinen Helden in eine Welt zwischen Eitelkeit und Alkohol entschweben läßt, da erreicht Kislingers Prosaerstling seine stärksten Momente – als Satire auf den Literaturbetrieb. Sambs und Kislinger: eine Geschichte vom Erfolg bis zum Verschwinden (im Fall von Kislinger dem aus den Kultur-Schlagzeilen). Und die Liste der Gemeinsamkeit ließe sich noch weiter fortsetzen. Eines aber sei noch angemerkt: beide, der Autor und sein Protagonist, sind vom Punk geprägt und beide pflegen einen rhythmischen Stil, den Kislinger „Klangversung“ nennt und der dem Text einen Eigenrhythmus geben soll, eine – wie Kilsinger meint – unverwechselbare Melodik. „Mit diesem Rhythmus“ – so Kislinger – „kann man eigentlich alles covern, ob Texte von Bernhard, Schwab oder Jelinek, man kann das alles in diese Klangversung einbauen.“
Einen ähnlichen Einfall hat auch Gregor Sambs:
„Ich werd: anstatt die Lyrik in Musik verwandeln: die Musik in Lyrik rückverwandeln. Begonnen hatte alles mit Ernest Hemingway. Sambs hatte ,Nach dem Sturm‘ gelesen und sich dabei ertappt, daß er die knappe Schilderung gesungen hatte, mit geschloßnen Lippen. Da wußte er mit einem Male, daß er dazu berufen war sein EIGENES dem Literarischen zu widmen. Er durchstreifte Henry Millers Werke, die von Hermann Hesse, und er konnte gar nicht anders, alles, was er las, komponierte er beim Lesen um. (…) Es war halt seine Art sich auszudrücken, womöglich wollte er das eigne Leben auch zum Song gestalten. Punk war nur der Anfang, sagte er.“
Der Punk war auch der Anfang bei Harald Kislinger. An die Stelle der vulkanischen Eruptionen, mit denen seine dramatische Arbeit immer wieder verglichen wurde, ist in der Prosa eine stark rhythmische und zugleich ruhigere, reflektiertere Sprache getreten. Diese Dynamik, die Kislinger in Sambs Erscheinen von der Sprache her entwickelt, ist letztlich auch das Gelungene an Sambs Erscheinen. Und sonst? – Aufarbeitung der eigenen Biografie, Kritik der Mediengesellschaft, Kafka-Fortschreibung, Satire auf den Literaturbetrieb – Kislinger hat sich in seinem ersten Roman viel vorgenommen. Zuviel möchte man sagen.