#Theater

Die Therapie

Reinhard Kaiser-Mühlecker

// Rezension von Spunk Seipel

Kann eine Therapie helfen, wenn man heilungsunwillig ist? In der Therapie, zu der Leo seit langem sporadisch geht, erzählt er immer wieder von einem denkwürdigen Tag an dem „Alles“ begann. Eine Industriellenfamilie trifft sich, um die Rückkehr des „verlorenen Sohnes“ Werner zu feiern. Die Eltern, die Geschwister und natürlich auch Werners neue Freundin Diana aus Argentinien verbringen einen Tag zusammen. Die ersten Widersprüche, Ungereimtheiten und Unstimmigkeiten innerhalb des Familienverbundes brechen auf, ohne dass den Beteiligten an diesem Tag klar wird, welche Folgen diese noch haben werden.

Obwohl sich Leo an viele kleine Details erinnern kann, Vermutungen anstellt, welche Weichen an diesem Tag für sein Schicksal und das seiner Familie gestellt worden sind, erfahren wir manch Entscheidendes nicht. Was hat den jüngsten Bruder Werner veranlasst, die Familie für vier Jahre zu verlassen? Was ist der wirkliche Auslöser für seine spätere psychische Erkrankung, die ihn in den Wahnsinn treibt?
Werner terrorisiert seine Frau Diana. Er versucht seinen Bruder Leo, der für ihn die Geschäfte in der Firma leitet, als er dazu nicht mehr in der Lage ist, umzubringen. Werner wird ein Pflegefall.
Die Therapie ist der Bericht eines Scheiterns aller Beteiligten. Leo, der die Frau seines verrückten Bruders liebt, kann diese nicht halten. Sein Bruder Christoph scheitert ebenfalls in seiner Ehe. Selbst die Therapeutin, die alle professionellen Ansprüche in diesem Fall aufgibt, verliebt sich in ihren Patienten Leo, ohne dass er diese Liebe erwidert. Sie kann ihm nicht helfen, seine Probleme zu lösen.

In dem dreiaktigen Theaterstück treten gerade einmal drei Personen auf. Leo liegt fast die ganze Zeit auf der Couch und erzählt von seiner Familientragödie. Die Therapeutin liefert ihm die Stichworte. Die Assistentin der Therapeutin, die ihre eigene Zulassung wegen Geheimnisverrat verloren hat, verstärkt die Ebene des Verrats der Therapeutin am Patienten, der keine professionelle Hilfe erfährt. Die eigentliche Handlung des Stückes, die Familientragödie, spielt außerhalb dieses Raumes und wird nur von Leo geschildert.

Die Therapie ist ein Kammerstück, das sich wie eine Erzählung liest. Man wünscht dem Text viele Leser, die sich nicht durch die Form abschrecken lassen. Gerade für kleinere Bühnen mit einem geringen Etat lässt sich eine Inszenierung gut vorstellen.
Es ist ein kurzer Theatertext mit einer brillanten, weil ruhigen, zurückgenommen Sprache, die den Leser fesselt und beinahe unbemerkt große Themen des menschlichen Daseins modern verarbeitet. Motive aus der Bibel – wie der verlorene Sohn oder Kain und Abel – ,aber auch aus der Odyssee werden aufgegriffen und finden ihre schlüssige Begründung.

Wird es für Leo eine Erlösung von seinen Seelenqualen geben? Will er dies überhaupt? Es bleibt ungewiss. So muss er denn immerfort zur Therapie und immer wieder neu die tragische Geschichte seiner Familie erzählen.

Reinhard Kaiser-Mühlecker Die Therapie
Ein Stück.
Hamburg: Hoffmann und Campe, 2011.
84 S.; brosch.
ISBN 978-3-455-40347-3.

Rezension vom 16.02.2012

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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