Auch wenn die Gründe für ihren Aufenthalt im Verborgenen liegen, Tatsache ist, dass die Fremden mitunter große Schwierigkeiten haben, sich an ihre Umgebung und deren Gegebenheiten anzupassen oder auch nur zu gewöhnen – zum einen, weil der Ort ihnen fremd ist, vor allem aber wohl, weil sie ihm fremd sind und die wenigen Personen, mit denen „Wir“ in Kontakt treten und die bei der Eingewöhnung helfen könnten, eine zumindest ambivalente Beziehung zu ihnen pflegen. Neben der Masseurin, die hin und wieder vorbeikommt, einem Frisör, der auf sich warten lässt wie einst Godot, und dem stets mit einem geladenen Gewehr herumlaufenden Nachbarn ist vor allem der sogenannte Einheimische die wichtigste Bezugsperson der Fremden, auch wenn von ihm gleichzeitig die größte Gefahr auszugehen scheint. Dies liegt vor allem an der Willkür, die er im Umgang mit ihnen zeigt: Mal hilfsbereit und freundlich, dann plötzlich wieder boshaft oder grundlos (?) verärgert, aber immer herablassend, hält er mit seinen Launen die Fremden auf Trab, die wiederum alles mit Gleichmut ertragen und sich die Zeit mit diversen Beschäftigungen vertreiben: etwa mit dem Auseinandernehmen und Zusammensetzen eines Autos, dem Konsum von Marillenschnaps, dem Beobachten fliegender Fische, die Eilbriefe zustellen, oder Tagträumereien: „Die Abende verbringen wir träumend und mit weitschweifenden Gedanken.“ (S. 77)
Die in ihrem Maul Nachrichten mit sich führenden fliegenden Fische sind übrigens nicht die einzigen Skurrilitäten in Kaips Journal, es finden sich dort einige Szenen, die einer eigenen Logik folgen, einer Art Traumlogik vielleicht, die mühelos und auf scheinbar ganz natürliche Weise Absurdes und Alltägliches weniger gegenüber- als vielmehr nebeneinanderstellt. Dass die buchstäblich traumhaften Einträge, von denen die meisten mit einem Zeitstempel versehen sind, während andere wiederum als „Rätsel“, „Brief“ o. Ä. ausgewiesen werden, oft nur lose miteinander verknüpft zu sein scheinen, macht dabei einen großen Reiz des Buches aus – Kaip bietet zwar Anschlusspunkte, Ankerplätze an, letztendlich obliegt es aber dem Leser, die Skizzen einzuordnen und die Leerstellen zu füllen.
Wenn man wollte, könnte man Ankerplätze als eine Art Sammlung lyrischer Miniaturen bezeichnen, doch das würde dem Buch nicht ganz gerecht werden. Denn es erzählt auch die Geschichte eines Versuchs, sich an fremde Lebensumstände und eine unbekannte Umgebung anzupassen, und von den Schwierigkeiten, die dabei bewältigt werden müssen. Die Fremden in Kaips Journal, die stets nur eine amorphe Masse an Menschen ohne individuelle Eigenschaften bleiben, scheitern letztendlich, auch, weil es ihnen von ihren Gastgebern wie dem Einheimischen so schwer gemacht wird. Insofern ist „Ankerplätze“ also, wenngleich auch versteckt, auf subtile Art und Weise, ein hochaktuelles Buch, das man als solches lesen kann oder auch nicht – und das ist eine große Stärke dieses kleinen Werks.