Die Erzählung selbst, Die Abwesenheit des Glücks, ist ebenso etwas Besonderes, und man fragt sich zuerst, ob es nicht zu intim ist, das Thema vor aller Öffentlichkeit, der potentiellen LeserInnenschaft, in der gewählten Weise auszubreiten. Nachdem man in der abschließenden Notiz zum Buch, und zwar vor dessen Lektüre, lesen kann, dass die Ehefrau des Autors, eine Hauptfigur oder vielmehr Heldin der Geschichte, sogar eine „maßgebende Mitarbeit“ geleistet hat, sucht man gegen die Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit und Offenheit, die an Entblößung grenzt, keine weiteren Einwände. (Die inneren Gegenstimmen des Rezensenten verstummen.)
Das Thema, das der geübte Schriftsteller Rainer Juriatti bearbeitet, ist dennoch diffizil und heikel. Und ich bin überzeugt, dass es gut war, die Zustimmung Vera Juriattis für den literarischen Offenbarungseid einzuholen. Es geht um Sternenkinder.
Als Sternenkind bezeichnet die Medizin ein Kind, das mit einem Gewicht von weniger als 500 Gramm vor, während oder nach der Geburt stirbt. Die Wortschöpfung ist poetisch, sie benennt Kinder, die die Sterne erreichen, noch bevor sie das Licht der Welt erblicken durften.
Nicht jede Schwangerschaft endet mit der Geburt eines Kinds, das heißt, mit dem großen Glück, das eine Familie begründet, oft ist das Glück abwesend, weil das Kind stirbt, bevor es mit Geburtsurkunde Mitglied einer Familie werden konnte, und dennoch ist es Teil der Partnerschaft von Vater und Mutter. In jeder Familien- und Lebenssituation wird an ein solches Baby gedacht.Rainer Juriatti ringt seit über zwanzig Jahren darum, seiner Liebe und Trauer, seinem Schmerz und seinem Zürnen eine Form zu geben. In der „Abwesenheit des Glücks“ versucht er, seine Erfahrungen, die nicht nur ihn, sondern die ganze Familie – neben fünf Sternenkindern sind ein Sohn und eine Tochter zur Welt gekommen – ohne Bitternis weiterzugeben. Er erzählt die Geschichte seiner Sternenkinder, besonders seines viel zu früh geborenen und gestorbenen Sohns Pablo, dem er Briefe schreibt und das Buch widmet, das keineswegs weinerlich gerät.
Der Schriftsteller erhellt viele Seiten der Sternenkinder-Problematik mit seinen Wahrnehmungen. Eine Perspektive wäre es in unserer aufgeklärten und humanistischen Gesellschaft, diesen Kindern einen Namen zu geben, samt Geburtsurkunde und einem Grab, an dem Eltern trauern könnten, aber vielleicht auch Trost finden. Es wäre eine schöne Aussicht, mit Sternenkindern nicht nur sterben, sondern auch leben zu können. Juriatti nennt dies, „dem Kind einen Namen geben dürfen“.
Die Erzählung kann mit Worten des Autors gewürdigt werden, der in einem Brief an Pablo schreibt:
„Alle meine kurzen Texte, Gedanken, meine Briefe und Erklärungsversuche sind keine ‚Ode an das Leid‘, sind keine ‚Chansons der Wehmut‘, sie berichten am ehesten von der Abwesenheit des Glücks und zugleich dem großen Glücksgefühl, zu wissen, dass du bei uns sein wirst für immer.“ (S. 156.)
Rainer Juriatti hat das Buch zwischen dem 26. April und 7. Oktober 2017 geschrieben. Er hat auf viele Notizen seiner Ehefrau Vera Juriatti zurückgreifen dürfen, die online „für alle da ist, die sich austauschen möchten“: http://www.juriatti.net/category/pablosblog/