Letzteres ist nicht der Fall, denn in einer anderen Zeile gibt er preis, dass er schreibend bis zu seinem Ende durchhalten werde, denn das Schreiben sei seine letzte Stütze im Leben, das ihn in den Rollstuhl banne und „am Fußboden seiner Wohnung geradezu festschraube“ (Klappentext), während Autoren-Kolleg:nnen, „die nicht einmal Mittelmaß erreichen“ (Mehr gibt es nicht, S. 140), zu Auftritten in die USA reisen. Bisher hat auch er es so gehalten, halten können, doch die Kraft dazu hat ihn nunmehr leider verlassen. Sein Körper schlägt zurück und will den Geist zähmen: „Nieder mit der Schwerkraft! Es lebe der Leichtsinn!“ (Keine Wahl, S. 124).
Das dicke Album, bestehend aus Kommentaren zu Zitaten unterschiedlichster Herkunft in Form von Kurzprosa mit zynischen Paronomasien, verwoben mit anagrammatischer Lyrik, erinnert in trister Klage-Thematik sofort an die Seufzer-Sammlung Heinrich Heines, der mit seiner „Matratzengruft“ einen markanten lyrischen Schlusspunkt setzte. Auch Heine war im Alter „rheumatisch gelähmt“ ans Bett gefesselt, allerdings in einem Pariser Kellerloch. Jaschke, das „Kind der Wiener Gruppe“, lässt ihn solidarisch sogar zwischen den Zeilen aufblitzen, den Dichter der Anti-Lorelei. Mit einem satirischen Grußgedicht an den Leidensgenossen reagiert Jaschke augenzwinkernd auf dessen poetischen Rhein-Strudel: „ich weiß sehr wohl,/was es bedeutet,/dass ich so traurig bin/… der zipfel des zwerges funkelt/im abendsonnenschein“ (Heine an der Leine, S. 105)
Der Untertitel „An- bis Zusätze“ weist auf die Struktur des Buches hin: Die aus unterschiedlichsten Zeiten stammenden Kommentare zu unterschiedlichsten Zitaten unterschiedlichster Thematik von unterschiedlichsten Künstlern sind (nur) nach dem Alphabet geordnet. Der Untertitel konnotiert darüber hinaus ein fruchtloses Beginnen, Absetzen und den erneuten Versuch des Autors, auf eine ihm zunehmend entfremdete Umwelt dichterisch zu reagieren. Kein Ganzes will diesmal entstehen, kein Zusammenhalt. Allein dieses Fehlen des Zusammenhalts schafft Verbindung: „Kann es sein, dass man Handlungsstränge dort erwartet, wo bloß Inhalt ist?“ (Fragen über Fragen, S. 87)
Doch nicht das Unvermögen des Handwerkers lässt die Abgerundetheit vermissen – Jaschke ist bekanntlich ein seltener Meister der Sprache –, sondern es ist die Welt, die aus den Fugen geraten ist. Dass sie Kopf steht, besonders in pandemischen Zeiten, vereitelt jeden vernünftigen Plan. Und so bleiben viele der Texte in erwartungsgeschwängerten „An“sätzen stecken und enden in „zu“gesetzten Phrasen, die an Ödön von Horvaths Dialoge erinnern: Man redet aneinander vorbei.
Das Buch ist kurzweilige Lektüre, aber auch als Nachschlagewerk empfehlenswert, denn es besitzt Dokumentationswert: Man findet selten eine so umfangreiche Sammlung an prominenten Zitaten und Kommentaren dazu, die sowohl flache als auch abgründige Imaginationen speisen. Der sprachmächtige General Jaschke wirft in seiner selbstgewählten Rolle als Brandner Kaspar noch einmal alles auf den Tisch, was er während der Pandemie an Neurosen gezüchtet hat, und er spielt sie Karte für Karte aus, Titel um Titel, ein umfangreiches Herbarium lang: „Was kommt noch? Wer weiß! Wir sind dem Tod etwas näher gerückt. Am Ende zählen nur die Punkte!“ (Ich kann, S.113)