Erstaunlich ist die Ökonomie, mit der hier mit einem Minimum an Material ein veränderter Zustand herbeigeführt wird. Vom Ausgangs- bis zum Endpunkt des Gedichts liegen oft nur wenige Worte und Zeilen, und doch kehrt sich schon etwas um, wird eine Blickrichtung, eine Position eröffnet und umgehend in ihr Gegenteil gekehrt. Manche Gedichte sind dabei nur Kürzel, ein Minimum an Material, Wort und Gedanke, und doch springt dabei etwas auf, entfaltet sich oft schon aus der Spannung zwischen Titel und Text ein Moment der Irritation.
Beschrieben werden Alltagssituationen, Fremd- und Eigenbeobachtung als Versuche, aus der Anonymität der Selbstwahrnehmung heraus zu verstehen und Bezüge herzustellen. Manchmal mit Verwunderung, manchmal mit leichtem Spott werden Medieninformationen und Konsumwelt kommentiert, in Milde und Abgeklärtheit, oder in heiterer Misanthropie. Motive der Isolation und Vereinsamung werden erkennbar, aber die Gedichte klagen nicht, sie konstatieren, suchen tastend nach Ursachen und Zusammenhängen, ironisieren den Ärger und die Enttäuschung etwa über späte Zustellzeiten des Briefträgers, auch wenn seit Langem kein Brief mehr zu erwarten ist.
Es passiert nicht viel in diesen Gedichten, außer diesem kleinen Erschrecken darüber, dass die Welt weiter macht, als wäre nichts gewesen; trotz seiner Befremdung nimmt das Lyrische seine Umgebung mit Zuwendung wahr, und so ist auch ein Gedicht möglich, das seine Freude über die in sich ruhende Lebendigkeit der Läuferin (bewegung ist leben, S. 46) in einfachste formale Kongruenz mit der Bewegung bringt. In seiner Ökonomie von Vorstellung, Bild, Form und Gedanke wirkt es harmonisch und tröstlich zugeneigt, indem es die Bewegung von Annäherung und Entfernung, von Monotonie und Gleichklang des Laufens in Sprachbild und Rhythmus mit vollzieht.
Oft enthalten die Gedichte aber auch ein Moment des Bedrohlichen und ein Gefühl der Vorwarnung: „noch ist nicht/alles verloren//es gibt noch/so vieles//zu verlieren“, lautet das letzte Gedicht unter dem Titels hoffnung/eines/pessimisten. Sowohl tragische wie kuriose Paradoxien dominieren hier, erinnern an frühe Ausgangspunkte wie Jandls Hörspiel mit dem Titel Ein Mensch, oder: Das Leben ist eines der schwersten (1979). Manches wird zurückgeführt auf eigene Unzulänglichkeit, den Mangel an Präsenzwillen, die Nachlässigkeit und Zerstreutheit. Vordergründig wird darin die Ursache der Bitterkeit gesehen, wenn es im Titelgedicht heißt: „mein tee ist/meistens bitter/vergeß ich doch/meistens/den teebeutel/herauszunehmen […]“ (S. 17).
Neben der spürbaren Humanität und sozialen Offenheit des Autors findet sich immer wieder auch die Skepsis vor technischen Neuerungen, die sich schützt vor dem Hype um Gadgets, elektronische Geräte und ihre Glücksverheißungen. Kommunikationstechnologien werden hier eher zur Kommunikationsverweigerung eingesetzt (das Handy sei kaum je eingeschaltet, heißt es in einem Gedicht), und so ist eines der zentralen Themen Entzug und Mangel an Nähe. Die Illusionslosigkeit wird zum Programm einer Skepsis, die niemandem etwas vormachen oder beweisen will.
Hermann Jandl ist im Schatten des berühmten älteren Bruders und unterschätzt geblieben, auch wenn er in seiner Knappheit und Lakonik überzeugt und wie dieser den eigenen Lebensplan in schreibender Reflexion skizzierte: „Veröffentlichte bereits 1952 seine ersten Texte in Literaturzeitschriften. Heute schreibt er rund um die Uhr“, heißt es in einer kurzen Biografie im „Literaturkreis Podium“, wo der 1932 geborene Autor vor rund sechzig Jahren zum ersten Mal publizierte.
Fern des Pretiösen, des Polternden oder Exzessiven bietet dieses schmale Bändchen mit 68 Gedichten eine Poesie der Selbstprüfung, die nach wie vor ambitioniert ist, den eigenen Ansprüchen zu genügen: nach Genauigkeit zu suchen, den Kern der Sache aus den Dingen selbst herauszuschälen.