#Prosa

Wanda wartet

Karin Ivancsics

// Rezension von Petra Nachbaur

Wie war das noch gleich mit Marilyn Monroe? Es kommt nicht darauf an, wie lange man wartet, sondern auf wen? Bei Karin Ivancsics schaut die Sache anders aus. Wanda wartet, lauten Titel und erster Satz ihres neuen Prosabandes. Wanda wartet – zunächst einmal und überhaupt auf die Straßenbahn, doch schon mit den zwei Titelworten ist die Ambivalenz dieses Programms angesprochen, denn die prinzipiell positiv bewertete Umkehrung vom Passiven ins Initiative wird durch eine so wesentlich passive ‚Handlung‘ wie das Warten ad absurdum geführt.

Und so bewegen sich Karin Ivancsics‘ Frauengestalten, moderne Stadtstreunerinnen, immer etwas zu verspielt und romantisch, um Freaks zu sein, immer etwas zu provokant und frech für bemitleidens- oder bewundernswerte Außenseiterinnen, an der Kippe zwischen Subversion und Anpassung.

Ivancsics‘ jüngste Buchveröffentlichung Wanda wartet nennt sich im Untertitel „Ein Triptychon“. Dementsprechend begrenzen die Abschnitte „Der Stadtsaal“ und „Die leere Kabine“ den Hauptteil „Sieben“, der, in Anspielung auf die Zahl der Todsünden, in zahlreichen kurzen Clips Lebensszenen von sieben Frauen beleuchtet, die eines gemeinsam haben, die Abtreibung, auf die sie gerade warten.

Diese Dreiteilung im Aufbau ist aber nicht der ganze Bezug zum Triptychon: In den ‚Seitenflügeln‘ werden noch andere Zusammenhänge benannt. Im ersten Abschnitt gedenkt Wanda, das Grunge-Girlie, zeitgemäße weibliche Variante des Flaneurs, der ‚Psyche‘ ihrer Mutter, des dreiteiligen Spiegelschrankes mit dem bezeichnenden Namen. Im dritten Teil wird zusätzlich die omnipräsente, flächendeckende Werbekampagne eines Wäschekonzerns vor Augen geführt, es ist die Rede von „farbiglüsternen Triptychonen von Frauen“ (S. 134). So werden weibliche Eigen- und Fremdwahrnehmung, weibliche Selbst- und Fremdzurichtungen im privaten und im öffentlichen Raum mit dem dreiteiligen Altarbild assoziiert und denunziert.

Das Altarbild kommt nicht von ungefähr. Es drängen sich Fragen auf, was auf welchem Altar zu wessen Ehren geopfert wurde und wird. Zugleich führt das Bild vom Altar auf die heiklen Probleme gesellschaftlicher Moral und Doppelmoral hin, die Ivancsics immer wieder auch in minimalen Partikeln ihrer Texte in spielerischer Weise aufgreift. Das Phänomen Abtreibung im Zentrum dieses Textes, blasphemisch und kritisch, ist bekanntlich geradezu Inbegriff der Diskussion um vermeintliche Moral, um weibliche Selbstbestimmung, Macht und Ohnmacht. Mehrfach gebrochen wird der Text, der aus verschiedenen Perspektiven, mit verschiedenen Stimmen spricht, durch Gesetzestexte, „Pressespiegel“ aus der Kronenzeitung oder TV-Shows wie „Vera“, durch zeitliche Brechungen in quasi dokumentarischen Interviewsitzungen mit den betroffenen Frauen.

Sehr differenziert, nie gefühlsduselig und doch voll lakonischer Solidarität mit ihren Frauengestalten beschreibt die Autorin einzelne und sehr unterschiedliche, individuelle und doch auch typologische Biographiemomente, „Schicksale“, wie es die Regenbogenpresse nennen würde, und bleibt dabei stets im wachen Blick auf das System, auf vordergründige und versteckte Zusammenhänge. „Christine ist schlecht. Sie hat kein schlechtes Gewissen“ (S. 62), ist ein Beispiel für viele, in denen es der Autorin gelingt, Sprache subtil-subversiv einzusetzen. Ob der Frauenname im Nominativ, also als Subjekt zu lesen sei oder vielmehr als Dativobjekt, daran scheiden sich Blickwinkel und Bewertung, aber auch wieder ‚aktiv‘ und ‚passiv‘.

Wanda streift durch eine Stadt, die an „AIDA“-Cafés und Fleischmarkt-Aufmärschen als Wien zu erkennen ist, streift durch die Einkaufsstraße mit „H&M“, kauft Ramsch, verschickt in geradezu surreal aktionistischer Weise Luftpostbriefe, und sie streift durch Erinnerungen an Kindheitserlebnisse und -eindrücke, geprägt von Zärtlichkeit zwischen Mutter und Kind. Im Schlußteil, der zunächst das Motiv der Kabine aufgreift, die von der medizinischen wieder zur markttechnischen Umkleidekabine wird, wiederholen sich diese Erinnerungsmomente. Eine Szene zwischen zwei Fremden, zwischen Wanda und einer alten Frau im Kaffeehaus, wird zur flüchtigen, freundlichen Begegnung.

Auf die Frage, worauf man warte, gibt es die halbwitzige Zusatzfrage oder Antwort „auf bessere Zeiten“. Wanda – trinkt auf bessere Zeiten, einen Cognac, nachdem sie eine großspurige, lustige und auch rührende Agenda, einen Merkzettel „Große Verhaltensanweisung und Maßregelung für mich selbst“ (S. 154) für die Veränderungen in ihrem Leben geschrieben hat. Mit diesem ironisch-optimistischen Ton klingt das Buch aus. Ivancsics hat ein unsentimentales, kritisches, emphatisches Buch über mehr als ein ernstes Thema vorgelegt. Allerdings überzeugen ihre genauen Beobachtungen, die überraschenden Details weit mehr als die oft etwas altklug oberwitzigen Statements und Betrachtungen über „Männer“ und „die Liebe“, bei denen nie ganz klar ist, spricht das jetzt Wanda, Karin Ivancsics oder Marilyn Monroe.

Karin Ivancsics Wanda wartet
Ein Triptychon.
Graz, Wien: Ritter, 1999.
155 S.; brosch.; m. Abb.
ISBN 3-85415-244-2.

Rezension vom 16.08.1999

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.