Die jüngste „Zu-Tage-Förderung“, um in der Bergwerkssprache zu bleiben, gilt drei Erzählungen der Innsbruckerin C. H. Huber. unter tag ist der Titel des ersten Textes und der Generaltitel der Sammlung. Zeitlich gedeutet ist „unter tag“ die Komplementärmenge zur Nacht, und psychologisch gesehen ist es die Seele, die irgendwo im Untergrund ihren Geschäften nachgeht.
unter tag ist die Geschichte zweier langgedienter Freundinnen, die plötzlich von einem Mann in seinen letzten Trieben auseinandergetrieben werden. Schlagartig wird das Scheingehäuse der Gesellschaft brüchig, und Trauschein und äußerer Schein verlieren ihre Schutzfunktionen. Das Alter schaut ungeschminkt beim Fenster herein, während sich im „Haus des Seins“ die Erotik auf Komplimente und andere Sprachspielereien zurückzieht. Die Lösung ist der Dramaturgie des Theaters abgeschaut: Die beiden Freundinnen bringen den Eindringling und Idyllenzerstörer um und sind von nun an Gefangene ihres eigenen Wissens.
Bemerkenswert an dieser Geschichte ist die abgeklärte Ironie, mit der im Sinne einer Spät-Erotik die geschlechtlichen Geschäfte abgewickelt werden.
Der zweite Text, „Feuerzeit“, spielt auf die sogenannte Reichskristallnacht in Innsbruck an, in der – gemessen an der Einwohnerzahl der Stadt – die meisten Juden ermordet worden sind. Die patriotischen Bergfeuer, die um die Sonnwendzeit auch heute noch angezündet werden, gehen in der Erzählung über in die Flammen der Bücherverbrennung und in das vernichtende Feuer des Dritten Reiches.
Eine Rarität ist sicher die dritte Erzählung: „totschlagen“. Der Text ist zu Flüchen verklumpt, in Drei-Wort-Sequenzen läuft das Leben als innerer Monolog ab. Zwischen Befehlen, Entschuldigungen, Verhöhnungen und Demütigungen ist nicht mehr zu unterscheiden. Durch die Grammatik der Fassungslosigkeit werden alltägliche Begebenheiten zu permanenten Schreckgespenstern. Die Sprache hat ihren Geist aufgegeben und rast als Floskelhaufen im Kopf herum.
Dieser Text ringt dem Leser viel Arbeit ab, erleichtert wird die Lektüre freilich durch eine Transkription in „Transparentschrift“. D. h. der Text ist auf der linken Buchseite in einer üblichen Fassung, aber in zurückgenommenem Grauton gedruckt.
Ein Nachwort des Tiroler Sprachexperimentisten Egon A. Prantl gibt Anregungen, wie sich der Text ad libitum im Kopf des Lesers ausbreiten könnte. So wird aus „unter tag“ bei leichter Sprachverschleifung ein „under dog“.
Verlag und Autorin haben ihr Ziel erreicht, das Buch ist da! Jetzt sollten sich noch Leser finden, die sich auf diese anregenden Texte einlassen.