Langsam wird aber klar, dass da noch mehr im Busch ist: Es hat einen Brand gegeben, offenbar ist der einsilbige Vater schuld daran, und das wohl nicht zum ersten Mal: „Nach dem zweiten Mal hast du mit dem Rauchen aufgehört. Man kann nicht sagen, du hättest dich nicht bemüht“, sagt die Tochter inmitten ihrer entsetzlichen Reime, und plötzlich fallen einem die Fische vom Anfang wieder ein. Von einem Besuch bei der Mutter ist auch die Rede, man kann vermuten, sie liegt auf dem Friedhof, womöglich ist sie das Opfer eines der vom Vater verursachten Brände – doch das bleibt in der Schwebe, wie so manches in dieser kleinen, meisterhaft gestalteten Szene voller Sprachlosigkeit, Sprechzwang und seelischer Abgründe, in der es um sehr viel mehr geht als um die titelgebenden Besorgungen für den Tag, bei denen sie ihren Ausgang und ihr Ende nimmt.
Seit dreißig Jahren lebt Alois Hotschnig als freier Autor in Innsbruck, allzu viel hat er in dieser Zeit nicht geschrieben: Durchschnittlich alle drei Jahre eine Veröffentlichung, und die ist im Regelfall eher dünn. Für das deutsche Feuilleton zählt er dennoch zu den „besten Autoren seiner Generation“ (Süddeutsche Zeitung), er wird regelmäßig mit Preisen ausgezeichnet, zuletzt 2008 mit dem Erich-Fried-Preis. Wodurch er diese Wertschätzung verdient, demonstriert er auch in seinem neuen Band: Es ist nicht die epische Breite, sondern die Konzentriertheit und Präzision seiner Prosa, die auf wenigen Seiten unterbringt, wofür manche einen ganzen Roman benötigen. In seinen jüngeren Erzählbänden scheint sich Hotschnig für Grenzerfahrungen und –verschiebungen zu interessieren. Waren die eher beklemmenden Erzählungen in Die Kinder beruhigte das nicht (2006) noch Gratwanderungen zwischen Alltag und Phantastischem, so sind seine aktuellen Texte nun an der Grenze zwischen Melancholie und Heiterkeit angesiedelt.
Wie in Besorgungen für den Tag geht es auch in der Erzählung Die kleineren Reisen um alltägliche Einkäufe. Ein altes Ehepaar versucht, die Erinnerung an gemeinsam besuchte Orte durch das Nachkochen bestimmter Speisen am Leben zu erhalten, die sie für ihre einstigen Reisegefährten ins Altersheim schmuggeln. Die alten Freunde werden davon offenbar regelmäßig krank, das Pflegepersonal schöpft langsam Verdacht – ein grotesk-komischer Dialog zwischen den ungewollt gemeingefährlichen Partnern Karl und Gerda nimmt seinen Lauf, und doch bleibt einem dabei oft das Lachen im Hals stecken. Die bei aller Boshaftigkeit liebevolle Darstellung der Protagonisten, eine gehörige Dosis Nostalgie und die ständige Präsenz des nahenden Todes verhindern, dass die beiden Alten, die immer größere Schwierigkeiten mit dem eigenen Alltag haben, der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Auch die Poesie bewahrt sie davor: Am Ende eines literarischen Kabinettsstückchens, eines höchst komischen Handymonologs im Supermarkt, in dem Karl seiner Gerda erzählt, was er bereits im Einkaufswagen hat, was er nicht findet, was er wieder zurückstellen muss und was er noch kaufen könnte, steht der Satz: „Von den Regalen herunter möchte ich jetzt ins Meer springen. Machst du mit?“
Wie dicht Wehmut und Komik beieinander liegen können, zeigt Hotschnig auch in Etwas verändert sich, einer vielstimmigen Erzählung aus der geschlossenen Anstalt. „Wir stehen jetzt immer erst nach dem Aufstehen auf. Dadurch dauert der Tag nicht so lang. Wir stehen auf und legen uns hin, und wenn wir dann aufstehen, ist es schon wieder näher zum Abend. So halten wir durch“ heißt es da, ein bei aller Absurdität tieftrauriges Rezept zur Verkürzung der Wartezeit auf den Tod. Wenige Zeilen später fragt ein anderer Patient: „Ich soll mich umgebracht haben? Das hätte mir meine Ärztin aber gesagt“, und wieder ist es schwer, nicht laut aufzulachen.
Neben der solchermaßen virtuos erzeugten melancholischen Komik ist es die sprachliche Genauigkeit, die an diesen Erzählungen beeindruckt – und die den Band zum Buch für das stille Kämmerlein macht. An einen solchen Ort der ungestörten Lektüre sollte man sich nämlich zurückziehen, um die meist in Dialogform geschriebenen Geschichten laut zu lesen. Erst dann entfalten sie ihre volle Wirkung und zeigen Hotschnigs Meisterschaft, die Ticks, sprachlichen Zwänge und auch ganz alltäglichen Äußerungen seiner Protagonisten ungemein realistisch niederzuschreiben. Zudem arrangiert er sie mitunter zu vielstimmigen Partituren, die man sich von einem Chor vorgelesen zu hören wünscht (was nun wieder gegen das stille Kämmerlein spricht).
Durchgehend sind es Menschen am Rand der Gesellschaft, die in Hotschnigs Erzählungen miteinander, vor allem aber aneinander vorbei sprechen: Insassen von Altersheimen, Psychiatriepatienten, Hypochonder im Wartezimmer, Menschen mit seelischen Beschädigungen, die am Alltag scheitern oder mit dem anbrechenden Ende ihres Lebens nicht zurecht kommen. Und so erklärt sich auch der Titel des Buches: Es handelt sich beim Satz Im Sitzen läuft es sich besser davon nicht nur um die Schlusspointe einer Erzählung, die derart schön vorbereitet wird, dass sie im Zusammenhang völlig logisch erscheint, sondern auch um das Konzept dieses Bandes. Seine Protagonisten sitzen fest, haben den Traum vom Weglaufen aber noch nicht aufgegeben.