#Roman

Schwarzer Peter

Peter Henisch

// Rezension von Sabine E. Dengscherz (Selzer)

Eine Bar in New Orleans. Irgendwann in den frühen Morgenstunden. Die Gäste sitzen im Halbdunkel des Lokals, ihre Gesichter sind kaum erkennbar für den Pianisten am beleuchteten Klavier. Sie bleiben anonym, aber er erzählt. Er erzählt seine Geschichte, sein Leben. Soweit das überhaupt erzählbar ist. Er vertraut sich Leuten an, die für ihn Fremde bleiben, aber er spürt, dass sie ihm zuhören. Ist es nur ein Abend? In einer Nacht kann man wohl kaum so viel erzählen, so viele Begebenheiten aus einem bewegten Leben.

Es werden schon mehrere Nächte gewesen sein. Und die Gäste, das sind wohl wir, die Leser, auch wenn wir zu Beginn, wenn wir zu Hause am Diwan oder im Kaffeehaus oder in der Straßenbahn das Buch aufschlagen, noch gar nicht wissen, dass wir eigentlich in einer der unzähligen kleinen Jazz-Bars von New Orleans sitzen und uns halt noch einen Drink bestellen, damit wir dem schwarzen Peter noch eine Weile zuhören können.

Peter, der Barpianist, kommt ja eigentlich aus Wien. Er ist der Sohn einer österreichischen Straßenbahnschaffnerin und eines amerikanischen Besatzungssoldaten, der schließlich wieder verschwunden ist, nach Hause in die USA. Der Bub, schwarz wie sein Vater, blieb in Wien, und die Mutter nannte ihn Peter. Ganz schwarz war er nicht, aber eben doch fast. Und vor allem viel dunkler als die anderen, zum Beispiel seine Klassenkameraden.

Peter Henisch schildert mit viel Einfühlungsvermögen und Sinn für Details aus dem österreichischen Nachkriegsalltag und den Jahren des Wirtschaftswunders die Schwierigkeiten, die einem Kind, einem Jugendlichen, einem Erwachsenen begegnen, der anders ist als der Durchschnitt. Oder einfach nur anders aussieht.

Der Roman ist in der ersten Person gehalten und liest sich über weite Strecken wie eine gelungene Mischung aus (fiktiver) Autobiographie, Bildungsroman und Satire. Henisch ist auch etwa gleich alt wie sein Protagonist und kennt ganz offensichtlich Ort und Zeit, die er beschreibt, aus eigener Erfahrung. Und Außenseiter waren auch schon (fast) immer die wichtigsten Figuren in seinen Romanen.

Aber Peter Jarosch ist kein komischer Vogel im Sinne eines Pepi Prohaska Prophet[en] (das trifft eher auf einige der Personen zu, die seine verschlungenen Wege kreuzen), im Gegenteil: er versucht in jungen Jahren stets, sich aus dem Abseits herauszuspielen, und das gelingt ihm schließlich (sic!) beim Fußball. Als er mit der gleichen Nummer wie Pelé ins Felde zieht, ist „Negerl“ schon mehr anerkennend als bös gemeint. Negerl, du gehörst zu uns und wir sind stolz auf dich.

Fußballspiel ist eine seiner beiden Leidenschaften, die andere ist die Musik, insbesondere das Klavier, vor allem als er nach einer Reihe von Knieoperationen auf ersteres verzichten muss. Und mit der Musik macht er auch später so etwas ähnliches wie Karriere, zuerst in Wien als Popstar, Familienvater und nicht immer treuer Ehemann und dann in New Orleans als Barpianist …

Auf der Suche nach seinem Vater und der Flucht vor seiner kaputten Ehe kommt der Protagonist nach Louisiana – und bleibt dort. Er bricht alle Brücken ab, beginnt ein neues Leben, und er hätte dieses auch in aller Ruhe genießen können, wäre da nicht seine Heimatstadt gewesen. Je älter Peter Jarosch wird, desto mehr zieht es ihn zurück nach Wien. Er vergrault damit seine Lebensgefährtin, die von einer Europareise nichts wissen will, und begibt sich schließlich allein auf die Spuren seiner Kindheit.

Und hier treffen die beiden Handlungsebenen Wien und New Orleans, Vergangenheit und Gegenwart aufeinander und die Distanz zum Erzählten verliert sich zusehends. Wir haben uns lange genug zusammen mit dem „schwarzen Peter“ an seine Wiener Zeit erinnert, seine jugendlichen Freund- und Feindschaften, homosexuellen Erlebnisse in der Pubertät, die ihn als Erwachsenen noch verfolgen, seine verzwickte Familiengeschichte, den Prager Frühling und in Zusammenhang damit auch an seine Schwiegereltern, die das Paradoxon verkörperten, eigentlich bürgerliche Kommunisten zu sein.

Nun begeben wir uns aber auf das Glatteis der Gegenwart, auf dem Jarosch auch tatsächlich zu Fall kommt. Wer sich heute in Österreich seinen Paß stehlen läßt, dem nützt bei schwarzer Hautfarbe auch der schönste Wiener Dialekt nichts. Was als Reise in die Kindheit begonnen hat, endet in der Schubhaft. Der schwarze Peter hat wieder einmal den schwarzen Peter gezogen.

Der Roman läßt sich sicherlich nicht auf eine literarische Antwort auf die in den letzten Jahren offenbar immer aktueller werdende „Ausländerfrage“ reduzieren, obwohl eine Tendenz in diese Richtung natürlich nicht zu leugnen ist. Henischs Stärken liegen wieder einmal vor allem in seinem Erfindungsreichtum skurriler Szenerien, die aber doch so wienerisch sind, dass sie authentischer kaum sein könnten. Und er hält damit einer gewissen Gesellschaft einen Spiegel vor Augen, der nicht gerade schmeichelt, aber auch liebenswerte Seiten nicht ausblendet.
(Nicht nur) Henisch-Fans werden das Buch verschlingen.

Peter Henisch Schwarzer Peter
Roman.
Salzburg, Wien: Residenz, 2000.
543 S.; geb.
ISBN 3-7017-1138-4.

Rezension vom 31.07.2000

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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