Die Magie der Reduktion? Malewitschs „Schwarzes Quadrat“ in Weiß? Nein, doch nicht. Eine prosaische Anleitung klärt alles auf: „Lesen Sie die nachfolgende Arbeit ‚Berühmte Unbekannte‘ unter Beiziehung einer Glühlampe oder Sonnenlicht.“ Die gnadenlos leeren Blätter werden durch das Einfallen von Licht zwischen Folie und Schutzblatt zum Leben erweckt.
Zu sehen gibt es eine Galerie von Zeitungsbildern, mit ein bißchen Phantasie lassen sich auch passende Untertitel finden.
Einmal strecken fröhliche Menschen dem Betrachter das Victory-Zeichen entgegen, ein andermal tauchen frustrierte Bergarbeiter aus der Grube auf, auf einem dritten Bild winkt jemand mit Geldscheinen. Alle sind sie jedenfalls „Berühmte Unbekannte“, die vom Licht des Lesers in ein einzigartiges Rampenlicht gestellt werden.
Dem weißen Bilderalbum sind die Fotoinstallation „Kastanienauge – Linsenschutz“ und Bodo Hells Text „sichtig“ vorangestellt. Eine Kastanie hat das Auge des Fotografen Otto Saxinger gereizt. Sie dient ihm als Modell, Sehenswürdigkeit und Porträt. Immer steht sie im Mittelpunkt, eine sogenannte „Komplementär-Fotografie“ zeigt jedoch auch, mit welcher Vorrichtung sie nach der Seh-Arbeit wieder geschützt wird.
Bodo Hell nennt seinen Prosatext, der in zwei Blöcken zu acht und vier unpaginierten Seiten zwischen die Kastanien-Modelle plaziert ist, schlicht „sichtig“ und beim Lesen schwingen Assoziationen zu „durchsichtig“ oder „weitsichtig“ mit, Begriffe, die der Autor – von ihren Attributen befreit – wieder auf ihr Eigentliches gebracht hat.
Der Text läuft quer zur Buchrichtung, man muß noch einmal umgreifen, damit er lesbar wird. Die Prosa ist absatzlos zu einem einzigen gigantischen Leseblock verdichtet. Bodo Hell schildert Ereignisse rund um das Sehen. Es geht um Abläufe mit der und um die Kamera. Wie sensibel der optische Sinn ist, erzählt er etwa anhand eines simplen Filmrisses, der den Betrachter jäh aus seiner suggerierten, filmischen Welt reißt. Oder: Eine unerwartete Störung des Lebensablaufes, etwa durch einen Unfall, kann vorerst nur dadurch aufgehoben werden, daß sie, die Störung, als solche definiert und fotografisch dokumentiert wird.
Das Gesamtwerk der beiden Künstler ist mit Augenklappe überschrieben, vielleicht eine Anspielung auf jenen Mythos, wonach gute „Seh-Räuber“ immer eine Augenklappe tragen.