#Prosa

begabte Bäume

Bodo Hell

// Rezension von Astrid Nischkauer

zum 80. Geburtstag am 15.03.2023
hat der Literaturverlag Droschl seinem Autor Bodo Hell und damit uns allen ein ganz besonderes Geschenk gemacht: den Band begabte Bäume, mit sehr feinen Zeichnungen von Linda Wolfsgruber, die Bäume zeigen, Details wie Blätter, Samen oder Früchte, immer wieder Tiere, die sich gerade an den Bäumen gütlich tun, und nur gelegentlich Menschen

wie der Buchtitel nahelegt, stellt Bodo Hell uns darin verschiedene Bäume vor, indem er ihr Erscheinungsbild und ihre jeweiligen Varianten beschreibt:

„vielgestaltig: weiße, gelbe, braune, salbeiblättrige, mandelblättrige, rosmarinblättrige, Knack- oder Bruch-, Dotter-, Hohe und Korbweide (mit Kopfholzzucht), Saal- oder Palm-, babylonische oder Trauerweide (in Medeas Kolchisweiden hingen die Verstorbenen), dreimännige-, fünfmännige oder Lorbeer-, ägyptische, Sandweiden können gar WanderDünen befestigen“

bestechend dabei sind die immer wieder unvermuteten Assoziationssprünge, die Unerwartetes miteinander in Verbindung bringen, wie beispielsweise Korkschlapfen mit Marcel Prousts Werk:

„zwar wenig strapazierfähige, doch schrittschalldämpfende KorkSchuhsohlen zeichnen bestimmte Gesundheitsschlapfen aus, auf der Suche nach der verlorenen Zeit haben sich korkene Schallschutzwände für den störgeräuschempfindlichen Marcel Proust bewährt, Felloplastik meint: Korkbildekunst,“

Bodo Hell ist ein Original, man muss ihn selbst erlebt haben, da er sich der Beschreibung entzieht, dennoch einige Stichworte zur Orientierung für all jene, die (noch) nicht das Glück hatten, einem Auftritt von ihm beizuwohnen: sehr oft und gern tritt er gemeinsam mit Musikern auf, greift bisweilen bei seinen Lesungen zwischendurch auch selbst zur Maultrommel, seine Texte sind damit vor allem auch akustisch zu lesen, als Klangpartituren, die sehr stark mit Rhythmus arbeiten, was bei den zahlreichen Listen im Band besonders deutlich wird:

„Geheimtür / Agentur / Inventur / Montur / Tortur / stur / Futur / Textur / Mixtur / Gravur / Schwur / Treueschwur / Liebesschwur / Azur / Zephyr / Porphyr / Satyr“

anhand der Listen lässt sich gut aufzeigen, in welch unauflöslichem Spannungsverhältnis Inhalt und Klang bei Bodo Hell stehen, und ähnliches trifft auch auf das Einbauen von Fachvokabular zu, wo es ebenfalls fast mehr um Klang als um Inhalt geht:

„(9) vieles wäre etwa zur Kunst des Schindelmachens zu sagen und zu den Kenntnissen des Dachdeckens von Schwardach (Legschindeln aus leicht widersinnigem Fichtenholz) mit Steinen und Schardach (aus genagelten Lärchenschindeln), alles auf der Hoanzlbank und mit dem Roafmesser zugerichtet“

so wie es in den Texten zu einer Spannung zwischen Klang und Inhalt kommt, entsteht auch sehr viel Reibung dadurch, dass der Text sich aus den unterschiedlichsten Quellen speist, die normalerweise streng getrennt voneinander verlaufen würden und sich nicht gegenseitig in die Quere kämen, bei Bodo Hell jedoch zusammengedacht und -gesehen werden: „Botanisches, Historisches, Kulturgeschichtliches, Trivia, Religiöses, Mystisches und Mythologisches, Volkstümliches, Erstaunliches, Listiges und Listen“, wie der Verlag selbst das Buch in einer unvollständig bleiben müssenden Aufzählung zu beschreiben sucht

sehr schön ist auch das Bild, das er selbst für seine Methode und Sprache findet, die uns Lesende hin und wieder überrollen kann, sich manchmal aber auch wie eine Hangschräge vor uns aufzutürmen scheint:

„Anhäufung von themenbezogenem Sprachschutt, in dessen Hangschräge man drei Schritt vor/zwei Schritt zurück faszienfordernd wie muskelkrampfgefährdet empor- oder abzusteigen versucht:“

wenn ich mich an Lesungen von Bodo Hell zurückerinnere, so würde ich sie als energiegeladen und temporeich beschreiben, als richtiggehende Wortlawine, die einmal losgetreten nicht mehr so leicht aufzuhalten ist, eine musikalische Besonderheit seines Textes ist gerade eine gewisse Atemlosigkeit, die dadurch zustande kommt, dass er, sobald er einmal angefangen hat, nicht mehr so bald aufhört, was wesentlich leichter klingt, als es tatsächlich umzusetzen ist, wie einem auffällt, wenn man das selbst aufzugreifen sucht, wie ich das mit meiner Rezension gerade zu tun versuche: Bodo Hell beginnt immer mit Kleinbuchstaben, womit jeder Absatzanfang und selbst der Anfang des Buches weniger Beginn als Fortführung ist, und er verzichtet in seinem Sprachfluss auf Punkte als Markierungen von Satzenden (Punkte verwendet er nur bei einem Datum oder bei Abkürzungen, wie beispielsweise bei: „HOTEL GASTHOF G. OTT“), damit weigert er sich, zu einem endgültigen Schlusspunkt zu gelangen, sondern legt vielmehr nur kurze Verweilpausen ein, um die Energiereserven aufzutanken und sogleich wieder weiter zu wandern, denn der Weg führt bei ihm einfach immer weiter und weiter

„gewiß: auf dem Weiterweg in südlicher Richtung durch den Wald wäre ein Bergstock wohl nützlich und man könnte sowieso gleich zu einer bequemen ZwieselEiche abzweigen, um in der Nut stehend die eigene Aura durch natürliche Wiederaufladung zu verbessern und ein trockener Parasolhut ließe sich vielleicht auch noch einheimsen,“

Fast schon abergläubisch scheut er vor dem Punkt als Satzende zurück, und so endet das Buch auch wie alle vorhergehenden Absätze mit keinem Punkt, sondern mit einer Auffächerung möglicher Weiterwege:

„von wo man über eine Kettenabsperrung auf ein Straßenstück hinaus in Richtung Museum und Kugelmühle sowie zurück zur Busstation oder zum Dorfwirtshaus gelangt“

diese unerschütterliche Zuversicht, dass es immer weitergeht, ist der stärkste Eindruck, den die Lektüre von begabte Bäume bei mir hinterlassen hat, und auch ein Anhalten zu mehr Achtsamkeit, da einerseits vieles, woran man beim Wandern für gewöhnlich achtlos vorbeieilen würde, für den Pflanzenkenner Bodo Hell genieß- und verwendbar ist:

„wobei das erwünschte Ernten nicht rasch vor sich gehen kann, es sei denn, man schneidet die gelbholzigen Langtriebe des früher angeblich zur Zahnstocherherstellung verwendeten Holzes mit der vorsorglich mitgeführten Gartenschere ab (hört man das Gewächs aufschreien?) und entperlt erst zuhause die einzelnen Träubchen,“

und Bodo Hell uns andererseits zu lehren weiß, dass selbst eine gewöhnliche leere Flasche am Wegesrand historische Dimensionen aufweisen kann:

„(dort und da mag auch noch eine alte dickwandige KracherlFlasche H&R HERMANSEDER Orangenquirl, aus den ehemals säuerlich duftenden Abfüllkellern der Salzburger Basteigasse stammend, hier halb im Waldboden steckend und faullaubgefüllt, zu finden sein),“

in der Natur weiß Bodo Hell sich von guten Geistern und Gnomen umgeben, die wie die Pflanzen jeweils nur in bestimmten Umgebungen anzutreffen sind: während man Gnome im ZirbenFichtenHochwald zwischen den Großblöcken hervorlugen vermuten könnte, ist im Hollerbusch das wohlmeinende Hollerauge anzutreffen:

„so weiß man den guten Geist (weiblich) doch Tag und Nacht unsichtbar zwischen den gar nicht so tragfähigen HollerbuschÄsten hocken und unfokussiert aus den Dolden oder sonstwo zwischen den gefiederten Blättern herausschauen,“

Bodo Hell liest die Landschaft als Pflanzenkenner, der genau weiß, was wann zu ernten und verwenden ist, als langjähriger Almhirt, der die Vorlieben und Eigenheiten des lieben Viehs verinnerlicht hat, und als Spurenleser, der nicht nur Tierfährten und Wanderwegen zu folgen vermag, sondern auch den Spuren eines Tornados von 1916, oder den Spuren der Zivilisation in die nähere und fernere Vergangenheit

„man hat bis zu 300 Jahre alte Bäume gefunden: ein lärchener Brunntrog in der evangelischen Gemeinde Ramsau/Dachstein, genauer auf der Grafenbergalm im Gemeindegebiet von Haus, ist sogar noch älter und stammt aus der Lutherzeit (und dieser Lärchenstamm wurde nach dem Fällen im sogen. Loamgrübl und vor dem Aushacken mit dem Hohlhackl vom damaligen Kurator Blasbichl Mathiasl dereinst persönlich jahresringgezählt, den hätte, wäre er hier gewesen, schon Martin Luther gesehen),“

wandert man als historisch interessierter Mensch durch Österreich, findet man unvermeidlich nicht nur Spuren glorreicher Zeiten, sondern auch solche zu Verbrechen, wie Kindesmissbrauch, oder zum Holocaust, auch wenn letzterer in begabte Bäume mit dem Konzentrationslager Buchenwald nur wie nebenbei in einer Auflistung erwähnt wird:

„Buchstaben Runenstäbe Bücher, Konzentrationslager Buchenwald nahe Weimar, Galeerenruder, Achsenholz, Räderfelgen, Pflugbalken (von Wagnern und Stellmachern hergestellt), Scheffel, Trommelzargen, Käseschachteln, Kisten zum Verpacken von Kandiszucker, Bugholz für Millionen von dampfgebogenen Thonet (Nr. 14/1859)- und Kohn-KaffeehausStühlen, Absätze für Männer- und Frauenschuhe, Schlittkufen, Halsjöche fürs Hornvieh, Hornschulen, Tabakspfeifenköpfe,“

gerade durch die scheinbare Beiläufigkeit, mit der hier das Konzentrationslager – man möchte fast sagen „eingestreut“ wird, tut sich ein Riss auf, durch den sichtbar wird, was ansonsten nicht direkt angesprochen, unterschwellig aber dennoch präsent ist

neben der eben genannten gibt es noch eine zweite Stelle, die auf den Holocaust bezugnimmt, da wird ein Gästebucheintrag von Adolf Eichmann 1934 erwähnt, ansonsten wird dieses Kapitel der Geschichte aber weitestgehend ausgeblendet, oder auch überblendet

man könnte begabte Bäume auch als literarischen Wanderführer lesen, der mit Worten Landkarten und Wanderwege nachzeichnet:

„es empfiehlt sich, im weiteren unsicheren Wegverlauf über den rutschigen Laubboden dann und wann nach den unscheinbaren gelben Markierungsflecken an Steinen und Bäumen Ausschau zu halten, um sich Irr- und Umwege ins Latschendickicht oder an gefährliche Grate hinaus zu ersparen,“

beschrieben wird nicht nur der Weg, dem wir jeweils gerade zu folgen intendieren, sondern gleichfalls all die anderen möglichen, nicht eingeschlagenen, und auch vieles, was wir gerade links liegenlassen und nicht sehen, aber sehen könnten, wenn wir eine andere Abzweigung einschlagen würden, so bleibt von der Lektüre auch die Gewissheit, dass einem immer eine Vielzahl von möglichen Wegen zur Verfügung stehen und es „für Spezialisten in Wegfindung durch wegloses Gebiet“ auch ohne Weg einen Weg gibt, „und vom Ort Großklein zum Ort Kleinklein ist es gar nicht weit und beides leicht zu merken“, Tipps gegen müde Füße („EschenLaub in den Schuhen gegen Fußmüdigkeit“) scheinen daher mehr als angebracht und durchaus erprobenswert:

„gilt doch ein Wacholdersträußchen am Hut auch anderswo als wirksames Mittel gegen Ermüdung unterwegs, gegen plötzlichen Schwindel, Altersschwäche sowieso […] darum gehen wir nächstesmal am ersten solchen Busch, den wir unterwegs (unscheinbar geduckt) antreffen, nicht mehr achtlos und gedankenverloren vorbei, sondern ernten ein paar beerenbesetzte (auch unreif grün) oder leere Zweiglein (wie sich’s ergibt) und prüfen dann auf ausgedehnter Runde, inwieweit uns der Gedanke ans Spezialgrün am Hut oder im Rucksack die unausbleiblichen Müdigkeitsphasen, zumal die erste nachmittägliche, überwinden hilft“

keineswegs menschenscheu geht Bodo Hell gern auf andere zu oder auch ein Stück des Weges gemeinsam, und genauso wie er uns als Lesende mitnimmt auf seinen Wanderungen und vor uns in unerschöpflichen Wortkaskaden die uns umgebende Landschaft entrollt, versteht er sich aber umgekehrt auch sehr gut aufs Zuhören und hat größtes Interesse daran, die ihm wohlvertraute Landschaft aus der Sicht seines jeweiligen Gegenübers neu zu entdecken, aus einem neuen Blickwinkel und auch mit ganz spezifischem FachVokabular:

„und wieder gehen wir in die Landschaft hinaus, in diese KulturNatur (wie sie gemacht wurde und wird), hinein in die unberührte oder neu entstehende NaturNatur (von der wir meinen, daß sie von selbst so und so geworden ist und sich selbst überlassen werden sollte), und wir suchen diese Landschaften auch als Nichtfachleute (Amateure/Liebhaberinnen) wahrzunehmen, mit den geliehenen Blicken von interessegeleiteten Experten (soweit es geht), mit deren speziell fokussiertem Sensorium und deren ein- und ausschließenden Nomenklaturen,“

gesellig hat es Bodo Hell selbst im Sommer, wenn er als Almhirt am Dachstein tätig ist, da er die Verbundenheit zu seinen Mitmenschen verinnerlicht hat, und so lassen sich seine Texte in dieser Hinsicht durchaus mit denen von Friederike Mayröcker vergleichen, mit der ihn eine langjährige Freundschaft verband: beide spannen in ihrer Literatur ein Netzwerk von befreundeten KünstlerInnen, erwähnen Begegnungen, Gespräche, und vor allem auch Werke ihrer KollegInnen, und so kann man lesend Menschen begegnen, die man im wirklichen Leben vielleicht sogar kennt, wie beispielsweise dem legendären „Wiener Buchhändler und Botaniker Reinhold Posch (wie aus dem Ärmel geschüttelt auch versierter Botaniker)“, in dessen Auslage begabte Bäume auch schon ganz zentral platziert ist, oder auch der befreundeten bildenden Künstlerin Linde Waber („aufgehoben in wabernder Dynamik,“), der mit: „Linde (auch Waber)“ ein eigenes Kapitel gewidmet ist:

„beide Aspekte des emblematischen Baums prägen auch Charakter und Arbeit der aus Zwettl gebürtigen Wiener Künstlerin Linde Waber, nämlich Konzentration auf die und in der Natur sowie Menschennähe und Hilfsbereitschaft: Linde geht offen auf Menschen zu und setzt sich auch immer wieder für ihre KollegInnen ein, Linde schätzt Arbeitskooperationen sehr,“

begabte Bäume ist ein in vielerlei Hinsicht überaus lesenswertes Buch, das von WarnHinweisen für das richtige Verhalten bei Tornados bis zu einem Rezept für Zirbenzapfenlikör (fast) alles enthält, und vor allem auch immer wieder Unerwartetes – eine besondere Spezialität des Autors selbst, wie man im Buch liest, denn: „Bodo Hell darf als Merkur da und dort unerwartet erscheinen,“

das Buch fungiert auch als Text-Herbarium, das unter seinen beiden Buchdeckeln manch kostbare Rarität und Kuriosität versammelt, die einem als Vielleserin und Bodo-Hell-Schätzende vielleicht schon hier und da in anderem Kontext untergekommen sein könnte (siehe beispielsweise auch: „Herbe Garbe, Weiberkittel. Von Heiligen, Pflanzen und Substanzen“ – Wien: marmelade, 2008, oder „Tornado Spur ins Heute“ Herausgeber: Europäisches Unwetterforschungsinstitut ESSL, 2018 – beide Bücher sind ebenfalls sehr besonders und damit überaus empfehlenswert), sein Bretterzeilengedicht (der Wald) aus begabte Bäume kann man sich auch online auf lyrikline.org als eines von acht Gedichten von ihm vorlesen lassen – mit alledem lädt das Buch gleichermaßen zu Abzweigungen und Umwegen ins Werk Bodo Hells ein, wo es wahrlich viel zu entdecken gibt, erschien seine erste eigenständige Publikation doch bereits 1977

begabte Bäume ist nicht nur all jenen, die immer schon ein „(Schachtelhalmdorado)“ finden oder mehr über den „Waldprophet des Bayrischen Waldes“ wissen wollten zu empfehlen, sondern einfach allen, die neugierig auf Unerwartetes sind, gern in die Natur aufbrechen und Witz und Sprachvergnügen lieben

„der Dorferneuerungsverein der Gemeinde Waldegg hat hier eine Bank gestiftet, nicht um den nächsten Tornado aus gar nicht so sicherer Entfernung zu beobachten, sondern um den schönen Talblick zu genießen,“

Alles Gute zum Geburtstag, lieber Bodo Hell! Und für’s neue Lebensjahr wünsche ich Gesundheit, Lebensfreude und gutes Alm- und Wanderwetter!

Bodo Hell Begabte Bäume
Texte und Zeichnungen.
Mit 23 Zeichnungen von Linda Wolfsgruber.
Graz: Droschl, 2023.
216 S.; geb.
ISBN 9783990591307.

Rezension vom 15.03.2023

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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