#Theater

Bestien im Frühling

Monika Helfer

// Rezension von Ivette Löcker

Er sei eine Sau, gesteht der Mann. Das oft wiederholte Geständnis, eine solche zu sein, habe ihm Wonne gebracht, sagt er. Und wahrlich eine richtige Sau führt uns Monika Helfer in Bestien im Frühling vor: Der Mann hält eine junge Frau mit langen roten Haaren in einem dunklen Verließ gefangen. Seit 180 Tagen bereits, ohne Matratze, der Raum vollgekotzt und vollgeschissen. Seine Ehefrau Bea beobachtet das Treiben, und ihr einziger Wunsch ist, sich auch einmal in so ein „rotes Tier“ zu verwandeln.

 

Im zweiten Stück der Vorarlberger Autorin geht es um keine gewöhnliche kleinbürgerliche Dreiecksgeschichte. Angeregt von Zeitungsberichten über den belgischen Kinderschänder Marc Dutroux (und wohl auch von Hannibal Lecter aus „Das Schweigen der Lämmer“) hat Helfer die Privathölle einer perversen Obsession in Dramenform gebracht. Der Mann tritt nur in Hundemaske (obwohl er sich als „Sau“ bezeichnet) als Peiniger seines eingesperrten Opfers auf. Silvi, die junge Fixerin, versorgt er mit Heroin, solange sie ihm zu Diensten ist. Bea, die Ehefrau des äußerlich biederen Büromenschen, kränkelt dahin. Die Auftritte des Polizisten und der Polizistin, die nur über ihre eigenwilligen Hobbies – Desserts und Blutspenden in rauhen Mengen – sprechen, sind ins Groteske verzerrt: die Hüter der Ordnung sind auch die Hüter der Perversionen. So kann der private Terror in Ruhe und unbeachtet vonstatten gehen.

Bea, die zwischen Opferrolle und Mittäterin laviert, skalpiert schließlich Silvi und stülpt sich deren rote Haare über. Der Mann bemerkt den Rollentausch gar nicht und erschießt seine Ehefrau. Silvi nimmt nun ihren Platz als Ehefrau ein und umarmt zum Schluß die Sau, dann wird es Frühling.

Die Figuren sprechen gleichzeitig miteinander, die meiste Zeit aber zum Publikum. Sie interpretieren sich ständig selbst und liefern so eine Art „Außensicht“ auf die eigenen Handlungen. Nichts bleibt mehr offen, die vorgegebene Leserichtung wird allenfalls noch dadurch irritiert, daß Bea von einem Traum spricht, den sie habe und in dem Silvi vorkomme. Alptraum/Traum und: was ist Realität? „MANN [zu Silvi]: Hier die Frage: (bedeutungsvoll) Träumst du vom bösen Leben, oder ist dein Leben ein böser Traum? Beides ist richtig, und beides ist falsch. Wie kommst du da raus? Ha!“ (S. 20)

Im Stück werden die Zuschauer (die Leser) als „Geschworene“ angerufen: zu richten über die sexuellen Perversionen der Kleinbürger, die hier gestanden werden. Eine fiktive Beichte, die allerdings ohne dramatische Höhepunkte auskommen muß. Spannung und Komik fehlen: zu vorhersehbar sind die Ereignisse, zu früh ist das Skalpieren angekündigt. Die Handlung kulminiert weder in einem Ausbruch aus dem Terror noch in einer „Erlösung“ durch das Gestehen – wie in einer Kreisbewegung scheint sich das Dreiecksverhältnis in einer neuen Konstellation einfach fortzuschreiben. Die Frauen wehren sich nicht gegen den Terror des Mannes, Bea wünscht sich sogar in die Rolle der Unterdrückten und tut alles dafür, um von ihrem Mann mißhandelt zu werden. Am Ende mutieren alle zu Bestien.

Monika Helfer Bestien im Frühling
Stück.
Wien, München: Deuticke, 1999.
62 S.; geb.
ISBN 3-216-30495-7.

Rezension vom 12.01.2000

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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