Roman zwei handelt von der jüdisch-litauischen Familie Shtrom in der Zeit des Holocaust. Wieder erzählt der Sohn. Jonas Shtrom protokolliert den massenmörderischen Judenhass, der seine Welt, seine Familie und Freunde, auslöschte. Jahre nach dem Krieg ist er einem der Täter, dem litauischen Partisanen und Nazi-Kollaborateur Algis Munkaitis, auf der Spur.
Josef Haslinger lässt die beiden Geschichten parallel verlaufen. Kapitel aus Roman eins folgt auf Kapitel aus Roman zwei ohne Berührungspunkte, Kramer und Shtrom wissen nichts voneinander. Sie leben in vollkommen unterschiedlichen Welten und der Leser wird gezwungen, unvermittelt von der einen in die andere zu wechseln. Die abrupten Übergänge werden im Lauf des Buchs immer schwerer nachvollziehbar. Es ist eines, die Kramerschen Irrungen und Wirrungen mit schadenfrohem Amüsement zu genießen. Es ist ein völlig anderes, in den Protokollen von Jonas Shtrom das Schicksal einer Judenfamilie zu erfahren, wie es sich mit unabwendbarer Grausamkeit – und so vielen Judenschicksalen in der NS-Zeit schrecklich ähnlich – aufrollt.
Während das schwarze Schaf der Familie, der traurig-hässliche Sohn, in seinen unerfüllten Nächten ein „Vatervernichtungsspiel“ am Computer entwickelt, während die Künstlerehe seiner Schwester scheitert, die Mutter nach der Scheidung allmählich zur Alkoholikerin wird, der Vater mit seiner „Schnepfe“ ein Kind zeugt und sich auf dem Geldmarkt verspekuliert, beschwört der Autor in einer anderen Welt den Alptraum des Holocaust.
Josef Haslinger ist ein Meister des Ambiente. Der Autor weiß die Spannung zu halten, die Details sind mit der Perfektion des gewieften Strategen komponiert. Der neureiche Nadelstreifsozialist Kramer ist eine ebenso überzeugende Figur wie der traumatisierte Jonas Shtrom. Haslinger zwingt den Leser in den Sog seiner Geschichten. „Das Vaterspiel“ sollte nach allen Regeln der Kunst ein großer Wurf sein und wäre es vielleicht, wenn sich der Autor darauf beschränkt hätte, eine Geschichte zu erzählen. Gerade in den Kramerschen Aufs und Abs liegt das Potential zu einer wunderbaren Farce über das erinnerungsschwache, saturierte Nachkriegsösterreich und die Sozialdemokratie. Haslinger hat sich jedoch dagegen entschieden, er lässt die Geschichte als launig-zynisches Familienepos an der Oberfläche dahinplätschern. Es fehlen die Schärfen und Kanten. Die Protokolle der Angst stehen diesem Spiel unverständlich gegenüber. Ihr Gewicht ist ein vollkommen anderes. Die Balance kippt mit jedem Bruch.
Der Autor versucht gegen Ende des Buchs die beiden Geschichten in einer phantastischen Zielgeraden doch noch ins Gleichgewicht zu zwingen. Algis Munkaitis, der langgesuchte Mörder, ist nach wie vor auf der Flucht. Der Schauplatz hat sich nach Amerika verlagert. Im jungen Kramer berühren sich die Parallelen in der Unendlichkeit. Seine Reise in die USA, begonnen an einem schneeverwehten Wintertag auf den ersten Seiten des „Vaterspiels“, führt direkt zu Munkaitis, der am Weihnachtsabend seine Version der Geschichte erzählen darf. Der alte todkranke Mann spricht ein letztes Mal über die Ermordeten.
Das Vaterspiel findet ein wohlig-kitschiges Ende bei den Kramers. Der ewige Loser landet kurz vor seiner Rückkehr nach Österreich mit The Father Game einen Überraschungshit bei den spielsüchtigen amerikanischen Kids, sein Vater begeht Selbstmord, nachdem seine Fehlspekulationen gigantische Ausmaße angenommen haben.
Abschließend versammelt sich die liebe Familie am Ottakringer Friedhof.