#Prosa

Berichterstatter des Tages

Peter Handke, Hermann Lenz

// Rezension von Alexander Kluy

Es mag kaum verwundern, wenn im Literaturbetrieb, fällt der Name ‚Suhrkamp‘, derzeit reflexhaft ‚Krise‘ assoziiert wird. Angesichts des Kurses des Frankfurter Buchverlags mag man geteilter Meinung sein, ob des jüngsten Frühjahrsprogramms denn doch weniger, vielmehr ist dezent Erschütterung zu konstatieren. Eines vermag allerdings dieses Haus noch immer: die Stamm- und Hausautoren in vorbildlicher Art und Weise zu pflegen und zu edieren. Und diese Ausgaben sorgsam zu betreuen und schön auszustatten. So wie die Korrespondenz zwischen Peter Handke, seit Mitte der sechziger Jahre Suhrkamp-Autor, und Hermann Lenz, Mitte der siebziger Jahre vom Insel Verlag unter die Fittiche genommen: ein schöner Büttenumschlag, eine angenehme Typographie, leicht gelbliches, somit lesefreundliches Papier, sinnig ausgewählte Fotografien auf Bilderdruckpapier, zudem kompetent kommentiert und nicht nur mit einem Nachwort versehen, sondern gleich mit zweien, dazu eine Rede von Handke auf Lenz und ein Aufsatz von Lenz über Handke – das verstärkt haptisch wie optisch den Reiz der Briefe der beiden Schriftsteller.

Im Dezember 1972 setzte der Briefwechsel ein und endete im März 1998, einige Wochen vor Lenzens Tod. Es ist ein schönes, ein aufschlussreiches, ein ergiebiges Dokument zweier Autoren aus verschiedenen Generationen, mit grundverschiedenen Biographien und Werk- wie Lebensansichten.
Hier Handke, der katholisch erzogene Kärntner, Anfang der siebziger Jahre junger alleinerziehender Vater, Erfolgsautor, Georg-Büchner-Preisträger und ein die Öffentlichkeit meidender Weltreisender. Dort der eine Generation ältere Lenz, protestantischer Schwabe, kinderlos, glücklich verheiratet, seit 50 Jahren im elterlichen Haus in Stuttgart lebend, seit 40 Jahren mit minimalem Echo publizierend (im Sommer 1974 berichtete Lenz stolz, seine sechs Bücher, die der kleine Jakob Hegner Verlag in Köln herausgebracht hatte, hätten sich so gut verkauft wie Jahre nicht mehr – insgesamt 374 Exemplare, wohlegemerkt alle sechs Bücher zusammen, und das in nur sechs Monaten …), der dennoch fatalistisch unverdrossen weiter schrieb und den einsetzenden Erfolg mit Lesetourneen, Signieren, Radiolesungen spürbar genoss.
Was hatten sich diese beiden zu sagen?
Viel. Und ausdauernd viel.
Es sind Mitteilungen, spontan und so lebhaft wie lebendig zu Papier gebracht, es sind Zeugnisse einer Freundschaft, die sich im Menschlichen traf wie im Literarischen. Bezüglich letzterem, so erweist sich, dienten Lenz‘ Bücher Handke bei der Neuausrichtung hin zu einer nichtlinearen, gänzlich a-psychologischen Schreib- und Darstellungsweise. Lenz, der sanfte Ironiker, wies jedoch seinerseits Handkes Anregungen, die Sprache doch rein aus sich heraus wirken zu lassen und auf Figurencharakterisierung zu verzichten, für sich zurück. Und schrieb so feinsinnig weiter, wie er es seit spätestens Mitte der sechziger Jahre pflegte. Im Persönlichen war Lenz Handke dankbar für die Aufmerksamkeitslenkung, für den Verlagswechsel zum Insel Verlag, für das, wie er, der Mörike-Verehrer und Schnitzler-Leser es nannte, Jungbleiben durch Handkes Bücher.

Und doch bleibt bei aller Nähe, auch nach dem Wechsel von Sie auf Du, bei all dem Lob für des anderen jeweils neuestes Buch eine fissurengleiche Distanz spürbar, die wohl unaufhebbar ist bei Autoren, die die Ruhe bannen, sprich: einfangen wollen und deren Profession das Beobachten ist, wie dies Lenz seinerseits beim busfahrenden, nur schauenden Peter Handke so pointiert beobachtete. Poetologisches findet sich hier nur am Rande, glücklicherweise. Dafür gibt es jede Menge scharfsinniger Beobachtungen, die auch neues Licht auf Lektüre und Interpretation der Bücher beider zu werfen vermag. Handke an Lenz: „Die Kraft und die Mühe des ERFINDENS liegt in der Art, wie Sie sich aus sich selber herausbegeben und doch das Gleichgewicht mit sich bewahren, d. h., sich nicht lächerlich sehen, nicht nur als ’sauren‘ Schwaben, sondern als eine von allen Möglichkeiten unabgeschnittene Existenz; als eine Bewegung von Wahrheit in einer bestimmten Zeit erfährt man das als Leser, und das ist die rechte Literatur, und eine Wirkung nur der Literatur.“ Und wer manchmal ob des hohepriesterlich-extramundanen Tones, der sich bei Handke bei all dem tiefen, reinen Klang seiner Sprache öfters einzuschleichen droht, eine Verstimmung aufsteigen spürt, dem sei zur Erdung der Brief vom 30. April 1975 empfohlen. Dieser hebt so an: „Lieber Hermann Lenz, die Betten sind gemacht, die Papier- und Abfallkörbe ausgeleert, das Geschirr vom Frühstück abgewaschen, die Waschmaschine gefüllt und in Gang gesetzt, die Blumen im Garten, wo ich jetzt sitze, begossen, und nun will ich die Viertelstunde, die mir bleibt, bis ich Amina von der Schule abholen gehe, benutzen, Ihnen wenigstens einen kurzen Brief zu schreiben.“

Bei der Lektüre des beigefügten Essays von Peter Hamm wäre es aber wohl ratsamer gewesen, jemanden als Dritt-Stimme zu verpflichten, der nicht so eng (und so voreingenommen parteiisch) mit beiden freundschaftlich assoziiert ist wie der Münchner Radioredakteur i. R. Angesichts der Überschneidungen mit den Nachworten der Editoren-Trias wäre etwas mehr Distanz gehaltvoller gewesen. Die Übernahme einer dezidiert Handkeschen Stillage wirkt bei Hamm nur pathetisch und unsicher (wie auch Kritiker-Schelte durch einen einflussreichen Kritiker arg wohlfeil ist). Sätze wie „Die Labsal dieser Briefe besteht auch darin, daß sie einen nicht in eine Enge hineinziehen, sondern immer Räume öffnen, als wären sie im Freien geschrieben oder im Innehalten beim Gehen, als eine Art Aufatmen oder Atemholen (…)“ kommen nicht „irgendwie“ (Handke) selbstverständlich daher, sondern vielmehr leicht überanstrengt auf allzu hohem Kothurn. Ganz zu schweigen vom analytischen Vakuum, das eine solche problematische Bildsprache unterstreicht.
Zumindest zitiert Hamm eine treffende Bemerkung Eduard Mörikes, der 1829 seinem Freund Mährlen folgendes schrieb: „Mein Kopf war aufs äußerste angespannt, meine Gedanken liefen gleichsam auf den Zehenspitzen, ich lag wie über mich selber hinausgerückt und fühlte mich neben aller Feierlichkeit doch unaussprechlich vergnügt. Statt mich niederzuschlagen, hatte der Geist dieser beiden Männer eher die andere Wirkung auf mich. Gar manche Idee – das darf ich Dir wohl gestehen – erkannte ich als mein selbsterworbenes Eigentum wieder, und ich schauderte oft vor Freuden über seine Begrüßung.“
Im Spiegel dieses Zitats sieht man dieses Buch; und im Spiegel dieses Buches sieht das Lesepublikum Peter Handke, Hermann Lenz – und sich, freudig erschauernd.

Peter Handke, Hermann Lenz Berichterstatter des Tages
Briefwechsel.
Mit einem Essay von Peter Hamm.
Hg. und Nachwort von Helmut Böttiger, Charlotte Brombach und Ulrich Rüdenauer.
Frankfurt am Main, Leipzig: Insel, 2006.
464 S.; geb.
ISBN 946-3-458-17335-8.

Rezension vom 14.02.2007

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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