#Prosa

Kleine Fabel der Esche von München

Peter Handke

// Rezension von Janko Ferk

Die Kleine Fabel der Esche von München wurde bereits zweimal in Prosasammlungen Peter Handkes veröffentlicht, zuerst im Jahr 1990 im Band „Noch einmal für Thukydides“ im Salzburger Residenz Verlag und 2016 in der Nobeledition Bibliothek Suhrkamp. Damit nicht genug. Den Text findet man auch in der „Handke Bibliothek I, Bände 1-9, Prosa, Gedichte, Theaterstücke“, die im Suhrkamp Verlag im Jahr 2018 erschienen ist.

Gleichsam wiederholend scheint die Prosaetüde im Buch, das der Petrarca-Kreis als Geschenk an den Meister zum achtzigsten Geburtstag versteht, wiederum dreimal (!) auf. Einmal als locker, das heißt, großzügig gesetzter Buchtext, dann als handschriftliches Faksimile auf den geraden Buchseiten und als gedruckte Flattersatz-Transkription – parallel – auf den ungeraden. So kommt die Publikation auf halbwegs ansehnliche achtzig Seiten. Darunter wäre es wohl kein angemessenes Geburtstagsgeschenk.

An dieser Stelle ist ein kleiner Exkurs erforderlich. Der Petrarca-Preis war ein von Hubert Burda nach einer Idee von Peter Handke gestifteter und großzügig dotierter Literaturpreis. Vergeben beziehungsweise zugesprochen wurde er in den Jahren von 1975 bis 2014. Danach wurde, gewissermaßen in der Nachfolge, einige Zeit lang der Hermann Lenz-Preis verliehen.
Zum Petrarca-Preis wurde eine Edition gegründet, in die Werke der Ausgezeichneten aufgenommen wurden, beispielsweise von Lars Gustafsson, Peter Hamm, Alfred Kolleritsch oder Jan Skácel. Für die Auswahl haben Hubert Burda, Peter Hamm, Peter Handke, Alfred Kolleritsch und Michael Krüger gesorgt. (Auf die Übereinstimmung oder Wiederholung einiger der bekannten Namen muss nicht ausdrücklich hingewiesen werden.) Mittlerweile gibt es weder den Petrarca- noch den Lenz-Preis, die Edition im Wallstein Verlag hat aber die Zeitläufte bisher heil überstanden.
Zum achtzigsten Geburtstag Peter Handkes, zu feiern am 6. Dezember 2022, hatten wohl die überlebenden Editoren, Hubert Burda und Michael Krüger, die Idee, den Nobelpreisträger mit einem sehr eleganten Buch zu ehren. Es ist tatsächlich ein schönes Geburtstagspräsent geworden. In Leinen gebunden, mit einem Schutzumschlag versehen und einem Nachwort Michael Krügers sozusagen geadelt oder – etwas bürgerlicher – veredelt.

Peter Handke beschreibt im Band eine Esche, die tatsächlich in der Münchner Schackstraße (noch immer) steht. Mitten in der bayerischen Metropole. Er umkreist sie, um sie zu beschreiben, zu erkunden und zu porträtieren. Er wird ihr einmal aus der Nähe und dann aus der Ferne gerecht. Handke interessiert alles, und zwar die Äste, die Krone, das Laub, die Rinde, der Stamm, und vor allem die Farben, die er an der Esche sieht, es sind bisher kaum gekannte Farbnuancen wie klargrau ebenso wie bekannte von kohlengrau bis grün oder blau.
Einen Baum zu beschreiben, ist nicht die einfachste Unternehmung. Peter Handke gelingt sie, er hat das (Handwerks-)Zeug dafür, um es salopp auszudrücken. Er hat vor allem die notwendige schriftstellerische Geduld. Insgesamt ist es ein besonnener und überzeugender Text, bar jeder Überspitzung oder Ruhelosigkeit. Eigentlich ein klassischer Handke.
Wegen der Vollständigkeit sei festgehalten, dass der Titel in der Handschrift „Kleine Fabel der Esche am Siegestor in München“ lautet und offensichtlich vom Autor für die Veröffentlichung auf „Kleine Fabel der Esche von München“ nicht wirklich gekürzt, aber modifiziert wurde (wie es ein Jurist ausdrücken könnte).

Dem dreifachen Abdruck des einfachen Textes folgen Schwarz-Weiß-Fotografien Isolde Ohlbaums, die leider nicht imstande sind, die Größe und Schönheit, die der Autor literarisiert, angemessen zum Ausdruck zu bringen. Mit anderen Worten, der Bildteil ist langweilig. (Bei diesem buchdrucktechnischen Aufwand eigentlich schade…)
Kurzweilig, interessant und lebendig hingegen ist Michael Krügers Nachwort, das Handkes Text im Umfang fast um eine Hälfte übertrifft. Es ist eine würdige Freundschafts- und Geburtags“geschichte“. Diese Niederschrift macht den Band erst zum Geschenk für den Jubilar.
Michael Krüger erzählt in der Tat eine Geschichte. Lesen kann man anbei Wörter, die man wahrscheinlich in diesem Werk nicht vermutet und im Leben mit ziemlicher Sicherheit (noch) nicht gehört hat. Binsenschmuckzikade, Blattnestlaus, Eschenzweiglaus, Vogelzungenbaum, Zwergdeckelschnecke oder Zwieselmotte. (Ich selber lerne immer gern „dazu“, naturgemäß auch von Dichtern und Dichterinnen.)
Michael Krüger verortet die Esche geografisch und begründet Peter Handkes Verbundenheit mit München. Die Namen Hubert Burda sowie Hermann und Hanne Lenz werden genannt. Auch Kafka, aber in einem anderen Zusammenhang.
Der Nachwortautor legt offen, wie unter der oder im Schatten der zitierten Esche der Petrarca-Preis ins Leben gerufen wurde. Und von wem. Die Esche hat die Schöpfer in Wirklichkeit „überschattet“…
In einem gebe ich dem unübertrefflichen Michael Krüger gern recht, und zwar, wenn er unverblümt feststellt: „Ich weiß natürlich, dass die Literaturgeschichte eine nicht besonders kluge, gerechte und nicht einmal besonders literarisch gebildete Dame ist.“ Krüger ist im Grund ein bisschen das Gegenteil dieser Lady.
Zum Abschluss schreibt Michael Krüger über Präsente. Peter Handke hat das handschriftliche Original der „Fabel“ Hubert Burda geschenkt und die Petrarca Edition, wie gesagt, Handke zum achtzigsten Geburtstag das noble Buch. Alles gleichsam Hand in Hand.

Zum achtzigsten Geburtstag des Nobelpreisträgers erscheint neben der „Kleinen Fabel“ ein weiterer Band. Eines von Handkes Notizbüchern wird erstmals vollständig in einer Transkription der Handschrift veröffentlicht. Es dokumentiert vor allem eine ausgedehnte Reise, die er im Sommer 1978 zu Fuß, mit dem Bus und der Bahn unternommen hat. Die Reise führt ihn aus seiner Herkunftsgegend in Kärnten nach Slowenien, in den Karst und nach Norditalien. Neben dem fortlaufend Niedergeschriebenen erweisen sich auch die vielen, teils ganzseitigen Zeichnungen als wichtige Vorarbeiten für die später erschienenen Erzählungen, insbesondere die „Langsame Heimkehr“ (1979) und „Die Wiederholung“ (1986).

Peter Handke hat seit Anfang der Siebzigerjahre des vorigen Jahrhunderts tausende Notizbuch-Seiten beschrieben. Die Hefte und Blöcke, die in Jacken- oder Hosentasche passen, sind bis heute seine ständigen Begleiter – zuhause und unterwegs. Aufgezeichnet werden Selbstgespräche und poetische Reflexionen, Einfälle und Ideen für literarische Pläne, vor allem aber Gehörtes, Gelesenes und Gesehenes. „Ich übte mich nun darin, auf alles, was mir zustieß, sofort mit Sprache zu reagieren, und merkte, wie im Moment des Erlebnisses gerade diesen Zeitpunkt lang auch die Sprache sich belebte und mitteilbar wurde.“

Peter Handke Kleine Fabel der Esche von München
Prosa.
Göttingen: Wallstein (Edition Petrarca), 2022.
Mit Fotos von Isolde Ohlbaum und einem Nachwort von Michael Krüger.
79 S.; geb.
ISBN 978-3-8353-5247-6.

Rezension vom 05.12.2022

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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