Doch gerade das macht ihn auch über den Verdacht erhaben, Literatur über Politik und Skandale ins Tagesgeschehen rücken zu wollen. Denn Provokationen haben ein Ablaufdatum, auch Agenda setting ist zeitlich begrenzt, ein Thema kann nicht ewig Karriere machen. Und das zwingt nun den Leser, sich mit dem Text als solchem auseinanderzusetzen, Handkes Oppositionsrolle in Bezug auf die öffentliche Meinung in der „Jugoslawien-Frage“ in den Hintergrund zu rücken und statt dessen die tatsächlichen Inhalte in Augenschein zu nehmen.
Handke hat sich nun einmal zum literarischen Sprachrohr der jugoslawischen Bevölkerung im deutschsprachigen Raum gemacht, und er gedenkt, diese Rolle auch konsequent beizubehalten. Er zeigt darin eine Ernsthaftigkeit, die ihm anfangs von vielen Seiten nicht zugestanden wurde. Fragt sich, ob er damit etwas beweisen will … Wer einmal im Kreuzfeuer der Kritik gestanden ist, der hat es eben schwer. Und in einer derart verfahrenen Situation wie im Kososvo „Gerechtigkeit“ walten zu lassen, ist ohnehin eine nahezu unlösbare Aufgabe.
„Was die Serben im Hinblick auf die Kosovo, die Kosovaren, betrifft, hat sich Handke sicher aber auf die Seite der Stärkeren geschlagen, im Kampf der Serben mit der Macht der NATO, die sie herausgefordert haben, natürlich nicht. Das ehrt ihn, den unverständlichen ‚Unverstandenen‘.“ bemerkt Alois Brandstetter dazu in seinem letzten Roman „Die Zärtlichkeit des Eisenkeils“. Weiter aber meint er: „Andererseits wird man bei manchen Stellungnahmen von prominenten Schriftstellern zu diesem Krieg den Verdacht nicht los, sie urteilten nach der in der künstlerischen Branche geltenden Maxime der Originalität und der Deviation.“
Bei allen guten Vorsätzen, sich nun tatsächlich auf den Text einzulassen anstatt auf die Metakommunikation über den Kontext, scheint diesem Vorhaben immer etwas im Wege zu stehen. Der Schlüssel dazu liegt aber vermutlich nun wirklich im Text selbst. Dieser erscheint nämlich ausnehmend farblos, ein leises Geplätscher reportagehafter Eindrücke, die leider sehr schnell wieder verblassen. Schade. Denn es wäre wohl wirklich recht interessant, die Wahrnehmung auf Details zu lenken, um sich dessen wieder auch emotional bewusst zu werden, dass es hier um eine Summe von Einzelschicksalen geht, die uns im Umgang mit einer „Kollektivschuld“ vorsichtiger werden lassen sollten.
Aber hier haben wir uns schon wieder vom Text entfernt … Das Thema selbst scheint eindeutig mehr zu fesseln als seine literarische Umsetzung. Doch hier, fast schon um den Autor in Schutz zu nehmen, darf man wohl auch nicht außer Acht lassen, dass Handke versucht, dem nahezu Unbeschreibbaren mit Worten beizukommen. Angesichts des Schrecklichen fehlt oft die – für die Artikulation eigentlich notwendige – Distanz. Unter Tränen fragend wendet sich der Autor an seine Leser, die vieles einfach deshalb nicht nachvollziehen können, weil es unausgesprochen bleibt. Die Betroffenheit, wohl immer spürbar zwischen den Zeilen, die „wirklichen“ Eindrücke bleiben ausgespart. Ob der Machtwechsel in Belgrad und die damit verbundenen verbindlichen Reaktionen Europas diese Tränen ein wenig trocknen konnten, wird uns der Autor vermutlich in den nächsten Monaten mitteilen.