#Lyrik

Freisprechanlage. Brezrocno govorenje. Vivavoce

Fabjan Hafner

// Rezension von Walter Fanta

Lyrik? In der Medieneventkulturzeit sind Gedichtbände marginale Ereignisse. Gedichte zu veröffentlichen, klingt das als Geständnis nicht ähnlich obszön wie das „zeig dir meine Balladen“ in einem Text von H.C. Artmann? Nicht nur die epische Dichtungsgattung Ballade ist heute ausgestorben; auch der Riesensaurier deutsche Lyrik scheint die Erschütterungen des 20. Jahrhunderts nicht recht überdauert zu haben. Mit oder ohne Adornos „nach Auschwitz…“. Zumindest die tradierte Gattungsdefinition – Epik erzähle, Dramatik stelle dar, Lyrik drücke Empfindungen aus – ist obsolet geworden, oder? Doch selbst die Wortspiel- und Sprachwitz-Lyrik seit Christian Morgenstern, und seit Jandl – ist sie nicht korrumpiert durch die Verwechselbarkeit mit Werbeslogans seit Humanic?

Was bleibt: Neuanfang von unten. Nicht repräsentativ. Subversiv. Allein auf sich gestellt. Nicht Silben zählen. Nicht Reime schmieden. Keine großen Assonanzen. Keine Effekte. Kein Ewigkeitspathos. In Kauf nehmen, dass Gedichten ihr Ablaufdatum eingestanzt ist. Was bleibt, ist Spracharbeit. „Ein Sprechen, das sich selbst radikal in die Recherche nach den Konturen der ‚Wortkörper‘ einbezieht.“ Ein Tasten in den „Räumen der Sprache“, in „abgenutzten Formeln des Sprechens“ (Begleitwort Heinz-Primus Kucher). Das sind Fabjan Hafners Gedichte. Sie stehen in diesen Neuanfängen. Sie sind subversive Wortkunst, nicht korrumpiert. Womit nicht gesagt ist, dass hier wieder einer aus Kärnten kommt und uns erlöst. Das nicht. Obwohl die Stimme Fabjan Hafners in seiner Lyrik auch keine leise ist. Sie nimmt die Worte fest in den Griff, in ihren Schwitzkasten sozusagen. Es ist eine prüfende Stimme. Besonders die Funktionsverbgefüge, die feststehenden Wendungen des Deutschen geraten in Druck und damit unter Druck, „mit Nachdruck, / den wir uns vorbehalten, / samt Ab- und Nachbildungen, gedruckt auf feinster Makulatur.“ (S. 75) Hafners unbekümmert mit den Worten werfende Stimme ist eine Schreibstimme; diesen Gedichten liegt nicht Gesungen-, sondern Gesetztwerdenwollen zugrunde. Das Wort ist ihnen keine Tonfolge, sondern ein am Platz hin- und herschiebbarer Körper.

Das Sensationelle an der Gedichtesammlung, das aus dem furchtlosen Kärntner Verfasser ein Genie werden lässt und aus seinen Wortfangwiesen nützliche Texte, ist aber wohl ihre Dreisprachigkeit. Denn es ist ja ein Unterschied, ob jemand mit Worten eine Stimmung malt und einen kongenialen Übersetzer findet, der für das Wortstimmungsbild in einer anderen Sprache adäquate Worte findet; oder ob jemand wie Fabjan Hafner Funktionsverbdekonstruktion in zwei Sprachen betreibt, ein und dasselbe Sprachprüfungsmanöver erst im Deutschen und dann im Slowenischen vollführt und die Übersetzung seiner slowenischen Gedichte ins Deutsche gleich selbst besorgt. Und indem die „repräsentative Auswahl aus dem lyrischen Werk Fabjan Hafners“ (editorische Vorbemerkung) auch ins Italienische übersetzt ist, hat der Wortschieber und -setzer Hafner mit seinen Arrangements gleich drei Wohnungen eingerichtet bzw. einrichten lassen. Wer die drei Sprachen versteht, er/sie blättert vor, blättert zurück: es herrscht ein Gleichwie der Sprachen; ein Hauptwohnsitz ist nicht zu erkennen. Die Nützlichkeit im (Selbst)Unterricht liegt auf der Hand.

Gehen wir der Frage nach, wen denn das „du“ repräsentiert, das in den Gedichten Fabjan Hafners sehr häufig erscheint, häufiger sogar als „ich“! Ob das ‚widerwärtige‘, das ‚gegenwertige‘ ‚Gegenwort‘ nicht das ehemals in hohem Ansehen stehende sogenannte ,lyrische Ich? ist? Dieses Ich scheint in Hafners Gedichten zwar nicht auf den Hund, aber auf das ‚Du‘ gekommen zu sein, ungefähr „als wärst du auch nur ich“, wie es in dem Text mit dem Titel „Ich sag jetzt einfach: du“ (S. 74) heißt. Nicht unbedingt in herkömmlicher lyrischer Selbstaussprache. Und nicht als Ausdruck einer traumatischen Ich-Störung. Sondern so wie man sagt: ‚Da bleibt dir die Spucke weg!‘ und sich selber meint, die kolloquiale Verschiebung des Ich ins Du. Die Umgangssprache geht voran, die Lyrik zieht nach.

Das ,lyrische Du‘ findet sich auch schon in der ersten der sechs ,Doppelsonette‘, welche den Band einleiten. [Diese erste Seite ist als Leseprobe beigegeben] Ein Sonett? Von der großen Form sind nur die leeren Hülsen über. Wie hat einst der biedermeierliche Dichter in Eduard Mörikes Sonett „Am Walde“ mit schöner Behaglichkeit verkündet? „Denn des Sonetts gedrängte Kränze flechten / Sich wie von selber unter meinen Händen.“ In dem mit „Schnellstraße, Fernlicht“ eingeleiteten Wortschlauch fehlt der Reim und die Behaglichkeit. Der Inhalt ist in die vier-vier- und drei-drei-zeiligen Behältnisse gegossen, als wären eben gerade nur die herumgestanden. Der großstädtische Flaneur, dem wir in ihm begegnen, könnte ebensogut durch ein Kurzprosatableau irren. Ich habe die Probe gemacht, die Vier-vier-drei-drei-Zeiler eingescant und zu einem Erzählprosa-Absatz umformatiert, und siehe da: ein getragener Ton vielleicht, der sich aber verwischen lässt. Aber ein Rhythmus, der lyrisches Schreiben vom nicht-lyrischen abhebt, stellt er sich her, ein Automatismus wie der Mörikesche, wo es sich ‚wie von selber‘ flicht… ? Wie immer, ich bin auf etwas anderes draufgekommen: das ‚du‘ – das bin ja ich! Versuchen Sie, Fabjan Hafners Gedichte so zu lesen, auf Deutsch, auf Slowenisch, auf Italienisch, dass Sie das ‚du‘ auf sich beziehen! Sie werden sehen, eine atemberaubende Wirkung stellt sich ein.

Eine Freisprechanlage ist eine literarische Apparatur, bei der der Dichter sich erlauben darf, sich aus- und frei zu sprechen, ohne auf etwas achten oder etwas berücksichtigen zu müssen. Außerdem erhofft er sich vermittels dieser Anlage einen Leser / eine Leserin, der oder die ihn frei spricht.

Fabjan Hafer Freisprechanlage. Brezrocno govorenje. Vivavoce
Gedichte.
Übers. aus dem Slowen. u. Deutschen: Roberto Dedenaro, Tatiana Floreancig, Zdenka Hafner-Celan.
Hg. u. Nachwort von: Primus-Heinz Kucher.
Klagenfurt: Drava, 2001.
270 S.; geb.
ISBN 3-85435-326-X.

Rezension vom 29.10.2002

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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