Die gesammelte Lyrik Haderlaps, die soeben in wunderbarer Aufmachung und unter dem schlichten Titel „Gedichte“ erschienen ist, läßt dieses Volk höchst eigenwillig, ja geradezu starrköpfig erscheinen. Das Volk kennt „kein vergessen“ und „wendet seinen blick nicht vom vertrauten hang“. Auch weiß es „nichts anzufangen mit der achillesferse / erinnerung. aus allem wächst ihm bitterkeit“. In einem anderen Gedicht, einem weiteren Schlußstrich, gibt Haderlap ihren „leuten“ zurück, was sie von diesen einst empfangen hat: Alle Zungenschnalzer und Hahneschreie, den Dornenwald, das blutende Herz und die „Asche der Tante“, den Haidensterz, die Zither, die vielen „Namen ohne Tröstung“ und nicht zuletzt: das „süßliche Verlangen nach Erlösung“.
Wovon könnte man sich heute noch Erlösung erhoffen? So macht die Dichterin Schluß mit der „heiligkeit der sprache“ und schnürt ein immenses Bündel rückzustellender Gefühle: die „trauer“ ist darunter, „die sich aufs haar schlägt“, ebenso wie die „lagernummer“ und „die ganze totenbrut, die aus dem jenseits kaum vernehmbare grüße schickt“. Vom lyrischen Ich, welches das gegenständliche Gedicht trägt, wird – ganz pathetisch – das „gelöbnis der treue“ gebrochen, die „hehren werte“ zählen nicht mehr. Am Ende der Auslöschung, die trotz allem etwas Zartes an sich hat, bleibt – eingenistet ins Gedicht – dennoch eine „uralte sehnsucht“; das lyrische Ich „versöhnt“ sich mit diesem „seltsamen volk“.
Was mit ihrem Volk zu tun hat, spricht Haderlap in direkten Worten an; viel direkter, als dies heute in deutschsprachiger Lyrik üblich ist. Wie die Versöhnung mit der slowenischen Herkunft bei gleichzeitiger Abwendung des Absolutheitsanspruches slowenischer Kultur funktionieren kann, bildet den eigentlichen Inhalt des Sammelbandes. Dieser umfaßt neben den bisherigen Buchveröffentlichungen der Autorin – „Zalik Pesmi“ (Salige Gedichte) 1983 und „Bajalice“ (Wünschelruten) 1987 – auch ihre jüngsten und bereits auf Deutsch verfaßten Gedichte. Dabei ist das Buch dreisprachig gehalten; und diese dritte Sprache, das Englische nämlich, tut der Zusammenstellung wirklich gut. Mit der zusätzlichen Ebene ist der Konflikt zwischen dem Deutschen und dem Slowenischen (der hier nicht zuletzt ein Konflikt um die Identität ist) etwas gemildert; kein poetologischer Ortstafelstreit wird entfacht, vielmehr findet ein trilinguales Ereignis statt.
An den gesammelten Gedichten wird indes auch die formale Entwicklung von Haderlaps Poesie sichtbar. Gegen Ende gewinnt die Autorin Gelassenheit; die Gedichte erlangen Präzision. So kehrt gerade in den letzten Arbeiten vieles von dem zurück, was von den ersten beschworen wurde und wovon sich die mittleren losgesagt hatten. Dabei kommt ein neuer Realismus zum Tragen; ein Realismus der Hoffnungen, die zu setzen, und der Enttäuschungen, die zu erwarten sind. Und dies betrifft beiderlei: die slowenische Dorfkultur und die eigenen Mittel des poetischen Ausdrucks, über die Haderlap nunmehr in starkem Maße verfügt: „es könnte eine frau sein, / die mir den weg zeigt zum dorf, / das ich suche. es könnte ein dorf sein / mit herbergen für fremde / (…) aber des nachts kommt meine mutter. / sie weist ins tal. Das alles / gehört uns nicht, sagt sie. / meine koffer stehen gepackt / vor ihrer tür. ich sage verse auf / übers ankommen. / es sind keine lieder, keine klagen, nur loser klang.“