Anekdoten mit Ohlsdorfer Lokalkolorit sammelt der fiktive Briefeschreiber, das Buchprojekt – Titel „Bernhard total“ – des umtriebigen Germanisten würde endlich Klarheit über wahrlich drängende Fragen der Bernhardforschung schaffen, etwa „welche Pissmuschel Bernhard in den jeweiligen Toiletten zu benutzen bevorzugte“ (S. 110). Vorläufiger Höhepunkt: die vermutlich allerletzte Urinprobe des Dichters, welche einem größeren Kreis zugänglich gemacht werden soll. Immerhin, der Nick Knatterton unter den Germanisten, der da mit solcher Inbrunst seinen germanistischen Reliquienschrein pflegt, bewegt sich in einer Welt, die zumindest für ihn noch nicht aus den Fugen geraten ist. Nicht so gut ergeht es da manch anderer Figur in Habringers Texten: In Chroniken, Tagebüchern und kurzen, schwankhaften Episoden wird von kleineren und größeren Mißgeschicken berichtet, die Protagonisten tänzeln in einem Fauxpas-de-deux von Fettnäpfchen zu Fettnäpfchen, etwa der Musikkritiker, der in einer Konzertkritik genau die gegenteilige Ansicht seines Kollegen vom Konkurrenzblatt vertritt, oder der Schriftsteller, dem auf einer Lesereise Schritt für Schritt das Auditorium abhanden kommt, bis er auf der letzten Station mangels Publikumsinteresse den Börsenbericht der Süddeutschen verliest. Es scheint, als würde allerorts die Chance genützt, die man ohnehin nicht hat: So versucht der Sekretär am Institut für Literatur den Preis des alljährlichen Literaturwettbewerbs für sich einzuheimsen, indem er, in Kenntnis der ästhetischen Vorstellung der Jurymitglieder, an seinem Computer einen Text montiert, der allen Anforderungen gerecht wird. Der Schwindel fliegt freilich auf, es bleibt nur mehr das „Eingeständnis eines Fehlers“ – so der Titel der Geschichte.
Ort des Geschehens ist zumeist die Provinz: Provinzliteraten, Provinzblätter, Provinzkirchenchöre, Provinzkultur (-redakteure und -funktionäre) bestimmen die Szene. Doch Habringer beläßt es nicht bei einem hämischen „Das kann ja nicht gut gehen“, nein, auch im Urbanen wird nicht mit Peinlichkeiten gespart: Der Observationsbericht der Stapo über eine Aufführung des „fremdsprachigen Werkes […] „Le Sacre du Printemps“ (auf deutsch: Lö Sacker dü Prentaomp)“ (S. 30) ergibt, daß zwar „die Musik im großen und ganzen drunter und drüber ging“, gottlob könne aber resümierend berichtet werden, daß „in dem wie vorangeführt beschriebenen Handlungsablauf die Verwirklichung der Tatbestände einer Unzuchtshandlung oder auch einer kommunistischen Unterwanderungsaktion durch russische Musik offensichtlich nicht festzustellen war.“ (S. 31) Das Provinzielle wie das Urbane dient lediglich als Requisite eines groß angelegten – im besten Falle – bildungsbürgerlichen Trauerspiels, in dem Kunst lediglich als gesellschaftlicher Aufputz fungiert. Da gerät der golfspielende Ziegelfabrikant ganz schön ins Schwärmen, wenn er an die letzte Konzertsaison denkt, an sein fußfreies Abo und an all die „homogenen Klänge, diese Stimmkultur, diese Treffsicherheit, diese präzise Schlagtechnik, diese virtuosen Virtuosen!“ (S. 28) Und hier liegt auch das Hauptthema von Habringers Satiren: Kunst, die falsch verstanden oder gar nicht wahrgenommen wird, Kunst, der mit Ignoranz begegnet wird, Kunst, die allerhöchstens Sous-Chefsache ist. Das ist traurig. Aber Humor ist ja bekanntlich, wenn man trotzdem lacht. „Satiren I“ – das deutet an, daß Rudolf Habringer auch in Zukunft lachen wird. Sofern es ihm halt nicht vergeht.