#Roman

Müll

Wolf Haas

// Rezension von Jürgen Weber

Der neue Brenner.

Der erste Brenner seit neun Jahren. 1996, also vor 25 Jahren, hatte der in Maria Alm am Steinernen Meer geborene Wolf Haas seinen Privatdetektiv Simon Brenner das erste Mal auf Ermittlungen geschickt. Damals arbeitete er noch bei der Kripo in Graz. Heute – also im neuen Brenner – arbeitet er auf einem Mistplatz in Wien. Aber natürlich spielt auch der neue Brenner in der Vergangenheit. Denn wie sagte sein Autor so kokett in einem Interview: „Der Brenner hatte schon beim ersten Buch keine Zukunft. Aber eine große Vergangenheit. Drum erzählt er so gern ‚von früher‘.“ Im vorliegenden neunten Brenner dürften wir uns immer noch in den Neunzigern befinden … *

 

Müll, verantwortungsvolle Tätigkeit

Wer jetzt glaubt, es sei ein Abstieg von der Kripo Graz zum Wiener Mistplatz (dt.: Altstoffsammelzentrum), der bekommt von Wolf Haas gleich auf den ersten Seiten eine regelrechte Abfuhr. Nämlich eine Müll-Abfuhr. Schließlich ist der Job als Müllarbeiter in der Zwischenzeit viel anerkannter und wichtiger geworden. Der Begriff hat ein Relaunch erfahren, sozusagen: „Recycling hin, Kreislauf her, sprich Zukunft gestalten. Darum war die Arbeit auf einmal so gut angeschrieben. Zehnmal besser als Kriminalpolizei. Heutzutage weiß jedes Kind, Müll verantwortungsvolle Tätigkeit.“ Auf dem Mistplatz vom Simon Brenner wird alsbald eine Leiche gefunden, allerdings in Einzelteilen. Erst das Knie, das rechte, das linke, dann die Arme, der Kopf etc. Aber das Herz fehlt. Das befindet sich nämlich an einem ganz anderen Ort. Und der Brenner hat alle Mühe, es zu finden. Aber da gibt es ja noch seine Ex-Kollegen von der Polizei, den Kopf und den Savic. Beim ersten Wiedersehen drängen sich dem Brenner die Wortspiele nur so auf, denn selten kommen die Pointen so leicht daher geschwommen wie bei einem Gespräch auf einem Müllplatz mit seinen neuen Kollegen, den Müllmännern, und seinen alten Kollegen, den Kriminalern.

Bin-Jip**: Brenner als Bettgeher

Der Brenner braucht nicht einmal nach den Pointen zu greifen, schließlich spucken sie die Kollegen von selbst aus. Wer die ersten acht Brenner gelesen hat, weiß, dass man sich schon sehr konzentrieren muss, sonst gehen einem ein paar dieser Pointen glatt verloren. Die Wortspiele kommen geradezu kaskadenartig und man überliest leicht etwas, weil man bei einem Krimi ja schnell zur Auflösung strebt. Stichwort: Spannung. Aber der Teufel liegt bei Wolf Haas natürlich auch dieses Mal wieder im Detail. Denn der (der Haas) hat es beim Schreiben so leicht, wie ein anderer mit einem Turnschuh federleicht herumhopst vor einem Basketballtor. Da tut sich der Brenner vielleicht dann doch etwas schwerer als der Haas. Schließlich hat er im neuen Brenner kein Zuhause und keine Wohnung mehr und muss als Bettgeher in fremde Apartments einsteigen, um dort zu wohnen, bis die Besitzer wieder aus dem Urlaub zurückkehren. Ist der Brenner also wirklich schon etwas auf den Hund gekommen?

Herz sucht Körper

Sorgen muss man sich natürlich noch lange keine machen um den Brenner. Denn nicht nur, dass er diesen Fall schneller als seine beiden Kollegen von der Kripo löst, er schafft es auch noch, nebenbei einen illegalen Organhandel aufzudecken und einen weiteren Mord an einem Unschuldigen zu verhindern. Hauptverdächtige: Ehefrau des Mordopfers. So ist er eben, der Brenner. Aufgrund seines gewinnenden Charmes bekommt er dann sogar Unterstützung von der Frau Rossi, seiner Zimmerherrin wider Willen und wer weiß, dadurch vielleicht bald auch wieder ein eigenes Nest? Wolf Haas spart auch in seinem neuesten Roman nicht mit Wuchtln und Lebensweisheiten, die sich nur so gewaschen haben. Gerne nimmt er Teile der Handlung durch Namen vorweg (frei nach dem alten lateinischen Motto „nomen est omen„). Wenn er etwa das für die Handlung so wichtige Transportunternehmen mit „TOBIAS“ bezeichnet, weiß er nicht nur um dessen hebräische Bedeutung („Der Herr ist gütig“), sondern auch um die Bedeutung für seine Geschichte: Transportunternehmen Otto Baier, Innsbruck – Aschau – Salzburg.

Recherche, stets mit einem Lied auf den Lippen

Außerdem hat er für seinen neuen Roman nicht nur auf Müllplätzen recherchiert, sondern auch bei Transportunternehmen und zum Thema Organe. Wer hätte etwa gewusst, dass es in Deutschland ein Zustimmungsrecht und in Österreich ein Widerspruchsrecht gibt, wenn es um die organische Hinterlassenschaft eines Toten geht? Tja, wer Haas liest, wird nun diesbezüglich klüger. Haas vergnügt sich so vergnüglich an den Eigenheiten der deutschen – oder soll man sagen österreichischen – Sprache, verzichtet dabei aber auch nicht auf das „Lied“ (siehe Leseprobe). Dieses Mal erscheint es in Form eines alten Motörhead-Songs und der Refrain darf hier durchaus verraten werden, ohne dabei zu spoilern: „He was never on your side, God was never on your side„.
Der lässige und amüsante Tonfall seines neuesten Krimis – Haas schreibt immer im Perfekt, wie gesprochene Sprache – lässt den Erzähler wie eine lebendige Person erscheinen, die neben einem sitzt und atemlos draufloserzählt. Ein Rummelplatz der Pointen, ein Roman mit viel Verve und Witz. So viel Spaß kann lesen machen

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* „Bin-Jip – Leere Häuser“ war ein südkoreanischer Spielfilm unter der Regie von Kim Ki-duk aus dem Jahre 2004.

** Nach dem taubstummen Müllplatzkollegen Schmid, der den Brenner auf die richtige Fährte lockt, dürfte es sich sogar genauer gesagt um das Jahr 1998 handeln. Brenner zitiert von Schmid übernommen den Liedtitel ¿Dónde están los ladrones? (Wo sind die Räuber?) von Shakira, erschienen 1998 bei Sony.

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Wolf Haas Müll
Roman.
Hamburg: Hoffmann und Campe, 2022.
288 S.; geb.
ISBN 978-3-455-01430-3.

Rezension vom 08.03.2022

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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