#Roman

Komm, süßer Tod

Wolf Haas

// Rezension von Petra Nachbaur

„Jetzt ist schon wieder was passiert.“(S. 5) Dabei hatte unser alter Bekannter Brenner das Ermitteln fürs erste an den Nagel gehängt und ist, wie sich’s so ergeben hat, als Fahrer beim Roten Kreuz gelandet. „Weil eine ruhige Kugel, und die Zulagen besser als bei der Polizei.“ (S. 16)

Nach den beiden Provinz-Romanen (Auferstehung der Toten 1996, Der Knochenmann 1997) spielt der dritte Fall des vielgepriesenen Autors Wolf Haas in der Bundeshauptstadt, wobei jene nichts gemein hat mit dem lieblichen Wien, das uns die Touristik verkaufen will. In Haas‘ Text spielt’s das Wien zwischen AKH, Außensiedlungen, Donauinselfest und der betriebsinternen Imbißbude, wo in derbem Humor der Leberkäse als „Spenderleber“ gehandelt wird.

Bis dann endlich die ersten Leichen zu Boden sinken, werden wir auf lebensechte Weise eingeführt in Soziolekt und Umgangsformen der kreuzfidelen Retter, und es drängt sich der unangenehme Verdacht auf, daß die Schilderungen ihrer Dienstauffassung und ihrer diversen Zeitvertreibnisse womöglich recht realistisch sein könnten.

Im gewöhnungsbedürftigen Jargon des Pflegepersonals lernen wir ein paar Männer kennen, denen es auf trist-beklemmende Weise gelingt, Arbeit und Stammtisch zu verbinden – und einige g’standene Weibsbilder, die mithalten können, wenn der Schmäh rennt und die Hormone floaten.

Abgesehen von ausgiebigen Milieustudien werden wir vertraut gemacht mit der grundlegenden, historisch ideologischen, mittlerweile sehr handfesten Rivalität zwischen dem Roten Kreuz und dem Rettungsbund. Der Brenner wird im Rahmen dieser Konkurrenzsituation vom „Junior“, seinem Chef, auf den Rettungsbund angesetzt, der im Verdacht steht, den (Rotkreuz)-Rettungsfunk abzuhören und so im Wettrennen um die Verletzten mit unlauteren Mitteln zu arbeiten. Erst spät stellt sich heraus, daß dieser Auftrag ein Ablenkmanöver von den wirklich kriminellen Machenschaften im Umfeld des Sanitätsdienstes darstellt.

Der Brenner wird von seinem Autor um einige Facetten bereichert. Erstmals wird auch sein ermittlerisches Erfolgsrezept benannt: „Weil für diese Methode gibt es ein ganz einfaches Wort. Und dieses Wort heißt Grant.“ (S. 49) Ein weiterer bemerkenswerter Zug ist Brenners seit Jugendzeiten kultivierter Hang zu sprechenden Melodien: Quasi unbewußt summt er Lieder, deren implizit vorhandener Text so manches zur Klärung der Situationen beitragen kann bzw. könnte. So kommt es auch in verschachtelter Symbolik zum Titel des Romans. „Komm, süßes Kreuz“, heißt es bei Johann Sebastian Bach, und die gleichsetzende Verwechslung von Kreuz und Tod hat in diesem Fall eine ganz spezielle Hintersinnigkeit – so wie auch dem Wort „süß“ eine sehr konkrete und sehr makabere Bedeutung zuteil wird.

Bekanntlich handelt es sich beim vorliegenden Kriminalroman um den dritten Teil einer Trilogie. „Vater-Mutter-Kind“, soll dem Autor spontan zur Dreier-Struktur eingefallen sein. Die Rangordnung zwischen Mutter und Vater ist ja nicht immer ganz klar, aber daß das „Kind“ den beiden in so mancher Hinsicht nachsteht, versteht sich und kann so vom Ansatz her eine gewisse Unausgereiftheit des Romans legitimieren. Obwohl vom dramaturgischen Aufbau her beeindruckend – manche Szenen gieren geradezu nach Verfilmung – funktioniert das Erzählen diesmal nämlich sprachlich nicht ganz so überzeugend wie im Vorgängerroman, mit dem sich Haas die Latte allerdings auch sehr hoch gelegt hat.

Der Erzähler ist ein allwissender, was den Brenner betrifft, ein vielwissender und viel zum besten gebender, was den „gesunden (männlichen) Menschenverstand“ angeht. Daß er diesmal sehr deutlich wirkt wie eine Gestalt aus Elisabeth T. Spiras „Alltagsgeschichten“, ist noch nicht das Problem. Daß beim Lesen jedoch oft der Eindruck entsteht, als hätten Brödl/Ostbahn einmal versucht, „auf Wolf Haas zu machen“, liegt wohl nicht unbedingt in der Intention des Autors.

Vielleicht entsteht allerdings auch bloß deshalb eine diffuse Abwehrhaltung gegen den „Süßen Tod“, weil man lieber wegschauen möchte, lieber gar nicht wissen will, wie es zugehen könnte oder zugeht – und weil man vor allem und ganz unbedingt die Möglichkeit aus seinem Denken verbannen muß, je selbst solchen „Rettern“ in die Hände zu fallen.

Wolf Haas Komm, süßer Tod
Roman.
Reinbek: Rowohlt, 1998.
223 S.; brosch.
ISBN 3-499-43287-0.

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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