Norbert Gstrein geht in seinem neuesten Buch Selbstportrait mit einer Toten noch einen Schritt weiter und vollzieht einen Rollentausch, der einer Versuchsanordnung gleicht: der Autor – also ein männlicher Schriftsteller – schreibt aus der Sicht einer Frau, die es mit einem männlichen Schriftsteller aushalten muß … Sie ist Ärztin, offenbar Psychiaterin, er wenig erfolgreich. Er kommt eben von einer mehrtägigen literarischen Veranstaltung, dem „Wettlesen des Konsuls“ in Wien, sie hat den Selbstmord einer Patientin zu beklagen. Und sie reden fünf Tage lang aneinander vorbei.
Eigentlich redet vorwiegend er. Sie hört zu, gequält, aber aufmerksam. Und sie erzählt – uns, den Lesern. Psychiater müssen viel Geduld haben, sagt man. Und der Text besteht nun auch vorwiegend aus den endlosen Monologen des durch Mißerfolg in seiner Künstlerehre gekränkten Schriftstellers.
Seine Rede ist voll von Wiederholungen und Schimpftiraden auf die Literaturszene, er wirkt zuweilen wie ein kleiner Möchtegern-Thomas-Bernhard. Seine Monologe geben dem Roman eine eintönige, graue Stimmung, die durch den unaufhörlichen Regen, der die Protagonisten von der ersten bis zur letzten Seite begleitet, noch verstärkt wird.
Er redet im Auto auf dem Weg vom Bahnhof nach Hause, er redet im Bett, beim Frühstück, und er redet beim Abendessen mit einer Redakteurin, er redet beim Auspacken der Kartons mit seinen Büchern, die er aufgekauft hat, um sie vor der Verramschung zu bewahren und statt dessen lieber selbst zu vernichten, er redet, und es regnet. Fünf Tage lang werden wir Zeuge einer verbalen Aggression ohne Anfang, ohne Ende und ohne Absätze, die nicht zuletzt starke Züge der Selbstvernichtung trägt.
Das Schweigen der Ärztin, ihre zum Scheitern verurteilten Versuche, sich auszusprechen in einer Situation, in der sie den Selbstmord ihrer Patientin – „meine erste Tote“ – verarbeiten muß, verleihen dem Text aber erst so richtig Spannung. Obwohl eigentlich so gut wie nichts geschieht, oder vielmehr immer das gleiche, zieht einen das Buch von Anfang an in seinen Bann und will förmlich verschlungen werden.
Norbert Gstrein hat das bissige Portrait eines mittelmäßigen, dafür aber umso eitleren und egoistischeren Künstlers gezeichnet, eine sprachlich ausgereifte Studie der Einsamkeit, sowie einer sebstzerstörerischen Mitteilsamkeit, die das Individuum nur umso mehr von den anderen abkapselt und sich und seiner Umgebung das Leben vergällt. Und es ist ihm damit wieder einmal ein Text gelungen, der in die Literaturgeschichte eingehen wird.