#Prosa

Herzmanovskys kleiner Bruder

Egyd Gstättner

// Rezension von Helmuth Schönauer

und andere Geschichten von Künstlern, Müßiggängern und Abenteurern.

Egyd Gstättner erzählt nicht nur scharf wie eine Rasierklinge, sondern gewissermaßen „auf der Rasierklinge“. Sein Lieblingsort ist jene Karte, die Realität von Fiktionalität, Witz von Parteiprogramm und Erfindung von Erfüllung trennt. Ein programmatischer Satz von ihm lautet: „Heute noch ein schlechter Witz, aber schlechte Witze sind nicht immerwährend Witze. Die Zeiten ändern sich.“ (S. 79)

Dieser Kommentar bezieht sich auf die lustige Tatsache, daß die österreichische Literatur des Jahres 1999 viel verrückter geworden ist, als man sie vor zehn Jahren selbst im größten Sud hätte beschreiben können. Der Literaturgeschichte empfiehlt Egyd Gstättner für die Zeit nach dem sogenannten Zusammenbruch des Kommunismus den Ausdruck „poetischer Kapitalismus“. Und in der Tat ist es verrückt gut, was österreichische Autoren, indem sie sich an den Kapitalismus heranschmiegen, an grandioser Poesie entwickeln. Mit gütiger Ironie empfiehlt Egyd Gstättner den Autoren die Vermarktung ihres Namens und schlägt werbeträchtige Amalgame vor wie: „Barbara Komm&Kauf Frischmuth“, „Josef Wash&Go Haslinger“, „Gerhard Wüstenrot Roth“, „Robert Diana&Menthol Menasse“ oder „Elfriede Du-darfst Jelinek“ (S. 79).

Damit der Leser zwischen Realität und Irrsinn nicht gänzlich verloren geht, hat der Autor seine Erzähl-Kritiken und kritischen Erzählungen nach vier Schreibrichtungen gruppiert. In „Großaufnahmen kleiner Helden“ werden Mini-Statements verschiedener Autoren für den jeweiligen Anrufbeantworter installiert. Vom Lichtspiegel-putzenden Schutting über den Arschloch-rufenden Handke bis zum Friedhofs-lüsternen Winkler sind die fingierten Selbstdarstellungen eine köstliche Literaturgeschichte der unterhaltsamen Art.
In einer anderen fingierten Situation dupliziert sich Herzmanovsky-Orlando probehalber für den Wahnsinn und in der Doublette reifen hohe literarische Erkenntnisse heran. „Idee für einen Lyrikband. Titel: Dicke Hausfrau in den Wechseljahren im November. Gar kein Procedere. Sowas schreibt sich ganz von allein.“ (S. 23)

„Zwischenzeiten“ beschäftigt sich mit Fitness für Europa, den lustigen Ereignissen von 1989 und den noch lustigeren von 2000. Höhepunkt ist eine melancholische Liebesgeschichte, in der der Held am Höhepunkt seiner Depression von Klagenfurt nach Villach zieht und dadurch endgültig vom Regen in die Traufe kommt.
„Oed und Edelschrott“ berichtet in zwölf Sequenzen von einem durch die Lande ziehenden Columbus, der auf seinen Lesetouren immer nur ein dünnes Publikum und sonst nichts entdeckt. Die Rituale von Veranstaltern, Provinzredakteuren und Fragen stellenden literarischen Eh-a-Dabeis lassen erahnen, daß es für lesende Autoren fast nicht möglich ist, nüchtern zu bleiben.

Das Kapitel um die „Stilleben“ versammelt neben plastisch ausgeführten Helden wie Narziß, Lukullus, Cupido oder Hiob so triviale Typen wie Frauenwallner oder gar den Winter als den Hauptdarsteller einer Wörthersee-Elegie. Ein typischer Alptraum aus dem Gstättner-Kosmos lautet etwa: „23. März. Ich habe kalendarische Alpträume. Heute habe ich geträumt, ich erwache, und es ist der 17. November.“ (S. 239)

Egyd Gstättners Geschichten lassen beim Leser durchaus befreiendes Gelächter zu, aber in den Pausen des Gelächters hört man das Ticken, das sie allesamt als scharf gemacht ausweist.

Egyd Gstättner Herzmanovskys kleiner Bruder
Erzählband.
Wien: Amalthea, 1999.
240 S.; geb.
ISBN 3-85002-431-8.

Rezension vom 02.12.1999

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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