Lyrik ist bei dieser Suche nach uns selbst eine, wenn nicht d i e adäquate Ausdrucksmöglichkeit. Für Christl Greller, die mit berichte von der innenfront neben drei Erzählbänden und einem Roman ihren 8. Lyrikband vorlegt, ist es d i e Ausdrucksmöglichkeit.
Seit 1995 erschreibt sie sich als Schriftstellerin und Poetin nach einem reichen Berufsleben ihre „andere“ Existenz und legt ihren besonderen Blick auf Dinge und Welt offen.
Eva Hillinger zitiert in ihrem Vorwort folgerichtig aus dem Gedicht blind sein die Zeile „in allen dingen ruht poesie“, denn diese Zeile steht programmatisch für die neuen und in den anderen Bänden abgedruckten Gedichte, man kann an ihr nicht vorbeigehen. Das Kleine, das scheinbar Unbedeutende, eine Geste, ein Kieselstein oder das ganz und gar Prosaische trägt im Kern noch immer etwas Unausgesprochenes mit sich. In dem zitierten Gedicht geht es um einen Sessellift. Banal? Gewiss – und doch nicht. Im Wort verbirgt sich bringen und ankommen. Und schon ist nichts mehr banal, denn all unsere Wahrnehmungen stehen in ständiger Verbindung zu unserem geistigen Horizont und unseren Empfindungen.
Eine solche Wahrnehmung setzt viel Empathie voraus, Geduld und Verweilenkönnen bei den Bildern und Eindrücken im Nachhorchen. Und immer steht beides in Verbindung zum Wort, in dem sich die Welt verdoppelt und im eigentlichen Sinn zu unserer Welt wird.
Das ist die „Arbeit“, wenn man es Arbeit nennen kann, aller Schreibenden und Dichtenden und fördert immer wieder Überraschendes zutage wie in dem Gedicht bruchlinie zum Beispiel:
und bin ich auch / mein schatten, / begleite / mich verlässlich / schritt für schritt. links / die sonne, rechts / von mir / auf flachem feld / mein ich im / selben schritt. //
Was für ein Gedanke, was für eine Empfindung. Man liest überrascht das Gedicht und nickt der Autorin zu. Ja, so ist es.
Und – Sie werden es selbst entdecken, wenn Sie Christl Grellers Gedichte lesen – diese interessanten Zeilenbrüche. Sie geben den Wörtern erst jenen Sinn, der sie zu Worten macht. Man kann versuchen, alles zu verschieben und wird entdecken, dass sich damit auch der Sinn verschiebt, einen anderen Fokus erhält.
(Nebenbei: Diese „Methode“, es ist keine Methode, dieser poetische Akt lässt an Samuel Becketts Spätwerk denken, an Watt z. B. Die Methode des Verschiebens, jetzt passt das Wort halbwegs, fördert unerwartete Ergebnisse zu Tage.)
In dem Gedicht geisterkürbis blitzt ein feiner Humor auf. Der Mond, oft lyrisch besungen, hat einen völlig anderen Auftritt als erwartet. Ein Kürbis und wie er sich feig verdrückt, wenn der Tag anbricht. Er, der Mond tritt wieder auf in dem Gedicht verse von meinem mond:
wenn ich der mond wäre / ich löschte meine lampe, um / diese erde / nicht zu sehen…
Eine gewisse Bitterkeit ist gegen Ende des Bandes nicht zu leugnen. Noch behält in diesem Gedicht gegen Ende die Zärtlichkeit der Poesie die Oberhand gegenüber der harten Realität. In dem letzten Gedicht sondereinsatz gewinnt die nüchterne Betrachtung der Realität:
Modell: kain und abel / zitat: krieg läuft nach plan.
„Geschichte ist nicht tot“, schrieb Christa Wolff einmal. Sie lebt in uns weiter, unsere eigene und die der Welt, und das, ob wir wollen oder nicht. Christl Greller gibt ihr jenen Raum, in dem sie zu unserer Geschichte wird, die Verbindung zwischen dem rein Persönlichen, dem Subjektiven und dem Kollektiven und Objektiven findet statt in den Wörtern, die zum Wort werden.
Zuletzt: Man kann diesen in vier Abschnitten aufgebauten Gedichtband auch als Ausschnitt einer Biografie lesen, in der sich das Leben, die Klugheit, die Empathiefähigkeit und Zärtlichkeit widerspiegelt und die sie der Realität entgegensetzt ohne diese zu leugnen.
Und es sei noch auf die Grafikerin verwiesen: Traute Molik-Riemer, in Kiel geboren, Bildhauerin, Mode- und Grafikdesignerin und Autorin. Sie hat den Umschlag gestaltet und die Radierungen im Inneren des Bandes beigesteuert.