#Roman

Helden sterben

Christine Grän

// Rezension von Georg Renöckl

„Servieren sie drüben Wiener Schnitzel?“ fragt sich Lucie, die Heldin von Christine Gräns Wien-Roman Helden sterben, während sie noch überlegt, ob sie sich nun von der Brücke stürzen soll oder nicht. Wer an seinen knurrenden Magen denkt, bringt sich natürlich nicht um. Lucie verschiebt den geplanten Selbstmord schon lange, will sie doch zuerst noch ihr Buch über berühmte und unbekannte Wiener Selbstmörder zu Ende bringen. Zu diesem Projekt kommt sie aber nur nebenbei: Als Brotberuf verfasst sie Nachrufe und Porno-Drehbücher, und in beiden Branchen hat sie mehr als genug zu tun: Eine selbst für Wien ungewöhnliche Selbstmordserie hält die Stadt in Atem, außerdem will der mit ihr befreundete Pornoproduzent Ludwig Abel endlich ein Kunstwerk schaffen, das ihn über die schmierigen Grenzen des Genres hinweg berühmt macht.

So weit, so plakativ. Wien, Tod, Sex – die Ingredienzien des neuen Romans von Christine Grän sind nicht gerade ungewöhnlich, passen aber einfach gut zusammen. Die 56-jährige Autorin aus der Steiermark, die seit Jahrzehnten in Deutschland lebt, hat sich vor allem durch ihre fürs Fernsehen adaptierte Krimi-Serie um die übergewichtige Klatschreporterin und Privatdetektivin Anna Marx einen Namen gemacht. Während ihr letzter Buchtitel „Villa Freud“ zwar an Wien denken lässt, aber in Berlin spielt, legt sie mit „Helden sterben“ nun tatsächlich einen Wien-Roman vor.

Dieser ist von sympathischen Außenseitern bevölkert: Pornograph Ludwig Abel hat Potenzprobleme und zweifelt an seiner sexuellen Identität. Seine wichtigste Darstellerin Anna ist zwar eine personifizierte Männerphantasie, lebt aber in einer lesbischen Beziehung mit einer Politikerin, die unverkennbare Züge Susanne Riess-Passers trägt und kurz vor Einsetzen der Handlung Selbstmord begeht. Anna macht daraufhin als schönste Grabrednerin Wiens Karriere. Lucies wiedergefundener Schwarm aus Mittelschulzeiten, der sensible, von Wien unendlich deprimierte Kriminalpolizei-Oberst Ado, der eigentlich Adolf heißt, ist im Grunde seines Herzens Anarchist geblieben. Im Internet verkauft eine fröhliche Runde von Greisinnen, unter ihnen die Mutter von Annas toter Lebensgefährtin, Zyankali an Selbstmordkandidaten, um sich die hohen Einsätze beim nachmittäglichen Pokern im Altersheim zu finanzieren.

Überzeichnung ist, soviel wird nach wenigen Seiten klar, ein wichtiges Stilmittel in Christine Gräns Roman, dessen Figuren ähnlich schillern wie das aufwändig gestaltete, violett glänzende Buchcover. Die Autorin geht mit spürbarer Lust am grellen Klischee zur Sache und schont dabei die Stadt, über die sie schreibt, in keiner Weise. Immer wieder gelingen ihr treffend-böse Sätze über die „urban getarnte Provinzialität“ Wiens, eine Stadt, die „ihre Form verliert wie eine Frau, die sich zu vielen Schönheitsoperationen unterzieht.“ Auch das Land als Ganzes bekommt sein Fett ab: „Du darfst vieles sein in Österreich, nur nicht unverständlich für die Massen“, fasst die Erzählerin die Grundproblematik (nicht nur) alpenrepublikanischer Politik in wenigen Worten zusammen.

„Helden sterben“ beginnt wie ein Krimi. Da ist zunächst der sprunghafte Anstieg von Selbstmorden, Schritt für Schritt wird dann die Verwicklung der Protagonisten in die Suizid-Serie enthüllt. Um Suspense geht es in diesem Roman allerdings nicht: Des Rätsels Lösung wird auf halber Strecke verraten. Im Anschluss daran berichtet die Erzählerin mit morbidem Humor von den Beziehungsgeschichten und wechselnden beruflichen Erfolgen der zur Schicksalsgemeinschaft zusammenwachsenden Figuren. Das könnte weitgehend ganz unterhaltsam, streckenweise auch gepflegt langweilig bis zum Finale am Opernball dahinplätschern, wären nicht zahlreiche Stolpersteine in Form von kursiv gesetzten Austriazismen und Dialektausdrücken in den Text eingebaut. Dass in einem Wien-Roman Heurige und die Tramway vorkommen, wird wohl niemanden stören. Schon nachdenklicher stimmen mundartlich geschriebene Wörter wie Punschkrapfn. Vielleicht wirkt die normale Schreibung des Wortes ja nicht urig-österreichisch genug. Schade ist jedenfalls, dass sich das Glossar im Anhang mit der Definition „fette Mehlspeise“ begnügt. Auch ein Wort wie Hetz müsste man seit Gerhard Roths „Reise in das Innere von Wien“ nicht mit einem schnöden „Spaß“ übersetzen, und so manche Erklärung gibt überhaupt Rätsel auf: Für Gfraßt steht beispielsweise „Wertloses“. Das Hauptproblem der Austriazimen und Dialektwörter, von antschechert bis Zeitungszumperl („abfällig für Journalisten“) ist aber, dass sie willkürlich in einen Text eingefügt sind, der nicht von österreichischem Deutsch, sondern von seiner bundesdeutschen Variante geprägt ist. Die Toiletten von Lucies Wohnung befinden sich beispielsweise auf dem „Flur“, immer wieder ist die Rede von „Vetternwirtschaft“. Die österreichischen Wörter dienen als pittoresk-kitschiger Zierrat und verleihen dem Text die Authentizität eines schlecht sitzenden Tirolerhutes zum Business-Anzug.

In Kombination mit der relativ spannungsarm vor sich hin mäandernden Erzählung sorgt das für ein eher eingeschränktes Lesevergnügen – was schade ist: Der trotz aller Klischees gleichermaßen derbe wie schräge Wien-Krimi, den man sich nach den ersten Seiten erwartet, wäre Christine Grän durchaus zuzutrauen gewesen.
Die Aufmachung des Bandes passt zum Gesamteindruck, den Helden sterben hinterlässt: Das Buch ist auf den ersten Blick bestechend schön, allerdings ist das Lesebändchen von so schlechter Qualität, dass es spätestens bei der Hälfte des Romans durchgescheuert ist und reißt.

Christine Grän Helden sterben
Roman.
Frankfurt am Main: Eichborn, 2008.
333 S.; geb.
ISBN 978-3-8218-6209-5.

Rezension vom 19.06.2008

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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