#Prosa

Nebenschauplätze

Werner Grabher

// Rezension von Helmut Sturm

Miniaturen.

Wernher Grabher, Vorstand der Abteilung Kultur im Amt der Vorarlberger Landesregierung, versteht etwas vom Tiefstapelei. Titel: Nebenschauplätze, Untertitel: Miniaturen und Motto (von Jim Jarmusch): „Ich würde lieber einen Film über jemanden machen, der seinen Hund ausführt, als über den Kaiser von China“ belegen das.
Damit sind zwanzig Texte angekündigt, deren Überschriften ein niedliches Bestiarium von „Der Hammel“ bis „Die Ente“ versammeln. Nimmt’s Wunder, wenn da im Leser Stifters „Das Wehen der Luft das Rieseln des Wassers das Wachsen der Getreide das Wogen des Meeres das Grünen der Erde das Glänzen des Himmels das Schimmern der Gestirne …“ aufblitzt?

Wolfgang Matz hat in „Gewalt des Gewordenen“ dem Abschnitt über Stifters „Sanftes Gesetz“ die Überschrift „Riß“ gegeben. Matz deutet damit an, dass Stifters Vorliebe für das Kleine, die bis heute in der Schule romantisierend weiter gegeben wird, der zum Scheitern verurteilte Versuch ist, die zerstörerische Natur nicht mehr als solche zu empfinden. Stifter möchte Harmonie erzwingen durch die erzählerische Gleichbehandlung von Menschlichem und Nichtmenschlichem. Es bleibt ein „Riß“, weil das restlose Aufgeben der menschlichen Perspektive nicht gelingt. Dieser „Riß“, der Einbruch der Unordnung, die Anwesenheit des Todes ist auch in allen Miniaturen Grabhers vorhanden, denn im Mittelpunkt seiner Texte stehen Beobachtungen von Zerstörung. Diese hat ihre Grundlage in der Natur (Vulkanausbruch), in der Technik (Verkehrsunfall) und ihm Menschen. Der Verdacht, dass die spannendsten Dinge zumeist abseits des Rampenlichts, eben auf Nebenschauplätzen geschehen, erweist sich als berechtigt. Jeder Versuch dahinter ein „sanftes Gesetz“ erkennen zu wollen, „das Güte und Liebe normativ in die menschliche Gemeinschaft“ (Matz) trägt, ist zum Scheitern verurteilt.

Der Mann, der auf seinem Oberarm das Tattoo eines Apollofalters trägt, hat seine Familie bei einem Vulkanausbruch verloren. In der Bar tanzt er den „Apokalypsa Dance“. Es ist das Apokalyptische, das es Grabher angetan hat, das er verstehen will. Dazu bedient er sich verschiedener Mittel. Häufig verwendet er das Mittel der Verzögerung („Wenn du die Welt begreifen willst, […], musst du sie anhalten“), beobachtet aus ungewöhnlichen Perspektiven, wechselt wie ein Filmregisseur Froschauge, Weitwinkel, Zoom. Das Spiel mit dem Erzähler erinnert an Hermann Broch, es gelingt am besten in den knappen Prosatexten. In den Dramoletten sind die Verfahrensweisen beschränkter, und diese wirken etwas plakativ.

Jim Jarmusch hat in einem Interview im „Stern“ einmal als sein Ziel angegeben, dass die Zuschauer seiner Filme die Gegenstände seiner Bilder wieder ganz anders wahrnehmen sollten. Mir scheint, das ist eine Intention, die auch Werner Grabher verfolgt. Unterstützt wird er dabei vom Zeichner, Maler, Objektmacher, Performance- und Filmkünstler Tone Fink , dessen artifiziell-naive Zeichnungen das Bändchen komplettieren. Sie vermitteln das apokalyptisch Bedrohende mit einem Schuss Ironie. Da hat einer gezeichnet, der seiner Angst mit einem heiteren Pfeifen begegnet. Selten, dass so ein Taschenbuch so vortrefflich illustriert ist.

Werner Grabher Nebenschauplätze
Kurzgeschichten.
Mit Illustrationen von Tone Fink.
Innsbruck, Bozen, Wien: Skarabaeus, 2010.
111 S.; brosch.
ISBN 978-3-7082-3283-6.

Rezension vom 14.05.2010

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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