Der Abschnitt trägt den Titel „lapidarium“ und enthält Gedichte und „denkkrümel“, aphorismenartige Notate wie „ich bin sportsitzer / ich betreibe den sitzsport“ oder: „die tat ist der tod / aller möglichen alternativen“. Den Beginn bildet das titelgebende Gedicht „mein papierener garten“:
„keine wespen & bienen / kein gekäfer / überhaupt kein getier / kriecht mich hier an / fliegt mir in hautnähe // in meinem papierenen garten / der in meiner wohnung wächst / pflücke ich nach laune / sätze von wittgenstein / oder geniesse gedichtzeilen von artmann // oft sind halt kräuter & rüben benachtbart / wie ordne ich sie und wozu / ich freu mich ja heimlich / über meinen verwilderten garten“.
Das ist zweifellos ein Gedicht, wie es einer Dichterin gebührt, nicht ganz frei von der Eitelkeit des Büchermenschen, der Erlesenes hortet und sich auch gerne damit schmückt.
Einsichten über das, was sich die Gerstl von einem Gedicht erwartet, gibt das Gedicht „was wünsch ich mir von einem gedicht“:
„es soll mir nicht zeigen / wie gescheit der dichter ist / wie gebildet – / welche mühe es gemacht hat / ich möchte seinen atem mit-atmen / sein pulsschlag soll / in den zeilen pochen / es soll leicht sein wie ein vogel / oder ein schmetterling / fliegen wie ein von der flachen hand / geblasenes blumenblatt / für die dauer des gedichts / will ich dieses blatt sein / bezaubert und verzaubert / wie vom blick der verliebtheit“.
Irgendwie scheint mir das eine etwas zu konventionelle Auffassung von einem Gedicht für eine so sehr am Sprachlichen orientierte Dichterin wie die Gerstl. Die Gedichte des Bandes lassen sich denn auch kaum in einer solch kulinarischen Form konsumieren. Vielmehr sperren sie sich dagegen, auch gegen das „mit-atmen“, das mich unangenehm an ein kerrsches „Mit-Schwingen“ erinnert: Die gerstlschen Gedichte geben sich eher handfest, auf eine angenehme Weise abgeklärt, mit sich selbst und der Welt durchaus in einem still vereinbarten dauerhaften Unfrieden. Da hilft auch keine „selbsttherapie“, wie das Gedicht gleichen Namens deutlich vor Augen führt:
„anstatt grantig könnte ich / fröhlich sein / anstatt ängstlich singen / anstatt zu erwarten / dass mich der schwindel / aufs trottoir schmeisst / einer freundlichen person begegnen“.
Das sind keine Zeilen, die einer Form von Erbauung dienen, die „bezauber[n] und verzauber[n]“ würden. Vielmehr schärfen sie den Blick für das Prekäre einer Existenz, unserer aller Existenz, die meist näher dem Abgrund ist als einer sonnigen Anhöhe.
Solch unverblümter Blick auf die conditio humana stellt Gerstl in die Tradition der Wiener Avantgarde, der sich auch manches Formexperiment verdankt. Ganz ohne diesen Kontext kann man sich einem Gedichtband wie „mein papierener garten“ nicht nähern und es schmälert die Leistung der Gerstl keineswegs, wenn man sie in diesen Kontext stellt.
Leider bewegen sich, dies muss abschließend gesagt werden, nicht alle Gedichte des Bandes auf diesem hohen Niveau. Als wenig gelungen, um nicht zu sagen platt, muss man wohl das folgende mit dem Titel „frau sisyphos“ bezeichnen:
„waschecht und flexibel / robust wie ein reibfetzen / konstant / in der permanenz ihrer nützlichkeit / ich lobe die niegelobte / in anerkennung / ihrer aufopfernden blödheit / als abschreckbild / für töchter und enkelinnen“.
Dafür braucht man keine Gerstl zu sein.