Nachdem Einbrecher das Haus von Sally und Alfred Fink heimgesucht und verwüstet haben, bekommt die freundliche Fassade Risse. Während sich Alfred, den der Vorfall zutiefst verunsichert, vollends in seine Innenwelt zurückzieht, tritt seine Frau die Flucht nach vorn an und nimmt sich einen Liebhaber. Erik, der ebenfalls in einer so genannten glücklichen Beziehung mit Nadja lebt, übernimmt diese Rolle gern und erfüllt Sallys erotische Wünsche. Doch da bekennt der virtuose Zweitmann, dass er sich in eine junge Frau verliebt hat, mit der er einen Neubeginn wagen will. Die „Idylle des bürgerlichen Beziehungswahnsinns“ erreicht ihren Höhenpunkt, zwischen Sally und Alfred zeichnet sich hingegen eine Wiederannäherung ab …
Geiger lässt seinen Roman mit einem offenen Ende ausklingen, gleichsam um auf die Beliebigkeit und folglich Austauschbarkeit dieser Geschichte zu verweisen. „Zwei Dutzendherzen in einem kleinen, überladenen Haus“, die den bürgerlichen Traum von sozialem Aufstieg, beruflichem Erfolg und familiärer Eintracht geschafft haben, müssen zusehen, wie hart erkämpfte Sicherheiten plötzlich ins Wanken geraten. Obwohl Sally eigentlich mit sich und ihrem Leben zufrieden sein könnte, wird sie das nagende Gefühl nicht los, etwas zu verpassen, sich noch einmal in einer Leidenschaft verlieren zu müssen, um sich gleichsam über ihre Vergänglichkeit hinwegzutäuschen. Zwischen „schon“ und „noch nicht“ hin- und hergerissen, wirft sie sich wie einst Emma Bovary dem Nachbarn in die Arme und verliebt sich sogleich in den mysteriösen Lover, für den sie nichts weiter als ein amouröses Intermezzo darstellt.
Der Stoff, aus dem Alles über Sally gewoben ist, überrascht kaum und bietet von daher kein überzeugendes Argument, das Buch zu lesen. Was hingegen unser Interesse an Geigers sattsam bekannter Fabel zu wecken vermag, liegt in der seismografisch präzisen Aufzeichnung der seelischen Schwingungen, denen die Protagonisten unterworfen sind. Dabei stört es nicht, dass die Nebenfiguren verschwommen bleiben und in ihrer Stilisierung bestenfalls eine Staffage für den latenten Ehekrieg bilden, den Herr und Frau Fink mit den je eigenen Waffen ihres Naturells austragen.
Manch einer mag kritisieren, dass der Autor den Konflikt, der das Potenzial einer Tragödie birgt, keiner Lösung zuführt. Mord, Suizid oder Trennung kommen hier nämlich als probate Fluchtwege nicht in Betracht, zumal weder der introvertierte Museumskurator Alfred noch seine ruhelose Gattin das Zeug zu Helden haben.
Sowohl Sally und Alfred als auch Nadja und Erik haben sich ein materielles Umfeld geschaffen, das private Erfüllung prinzipiell möglich erscheinen lässt. Dennoch stellt das romantische Verlangen nach der ganz großen Liebe und dem ultimativen Sex die scheinbar gut funktionierende Partnerschaft samt Kindern in Frage. Weil es ganz und gar in der Verantwortung des modernen Subjekts liegt, seinen individuellen Glücksanspruch zu realisieren, wirkt das Festhalten am Erreichten lächerlich und obsolet. Zwar beeindrucken Sally und Erik dank ihrer starken Persönlichkeit, gleichwohl straucheln sie auf der Suche nach einer Zukunft, die möglicherweise bereits hinter ihnen liegt, wie Geiger mit ironischem Scharfblick andeutet.
Wenn man den Band zuschlägt, rätselt man, welcher Figur der Vorzug zu geben ist, verlässt doch keiner der Protagonisten in diesem Roman die fiktionale Bühne als Sieger. So bleibt schließlich nur die Einsicht, dass sich Glück im Sinne des Erstrebenswerten weder endgültig bestimmen noch erzwingen lässt und die Jagd danach als eines der großen absurden Abenteuer unseres Daseins fortbesteht.
Geigers exemplarische Bestandsaufnahme der bürgerlichen Familie kurz vor der Jahrtausendwende fängt nicht nur den österreichischen Zeitgeist ein, sondern bietet auch ein umfassendes Sittengemälde einer Schicht, die trotz ökonomischem Erfolg die Sehnsucht nach dem ganz anderen Leben nicht zu stillen vermag. Dass Geiger diese existenziell banale Geschichte in einen ebenso klugen wie kurzweiligen Roman verwandelt hat, dokumentiert einmal mehr seine Meisterschaft.