#Lyrik

RINGHÖRIG

Petra Ganglbauer

// Rezension von Karin Berndl

„Bedarf des Freilaufs, gefetztes Glück / Farbmittel und Erfindung. / The cliffs, the cliffs / Abrupt und weit gefasst: / Geschickt, zerregnet: / Gesichtergesims.“ – Seltsam aufgemacht oder eröffnet ist dieser Band: mit einem Bedarf nicht nach Freilauf. – Es bedarf vielmehr der Freilauf hier vielleicht des Fetzens, des Rumfetzens im Glück, dass das Wort sich erfüllt, ein Stück Glück, ein Auftragen von Farbe, ein Ins-Kraut-Schießen der Erfindung.

Und das alles bricht wiederum plötzlich ab an „the cliffs, the cliffs“, da sind diese Kanten, etwas zwischen zweien, da wird das Aufschießen des Glücks gebremst, eingefangen, entpuppt sich als geschickt von jemandem, also gebahnt, oder doch eher geschickt erwischt, zerregnet die Szenerie, zerstört, ein Echo bricht sich: an einer Miene, an einem Gesichtergesims, da findet statt der jähe Abbruch der wilden Felslandschaft an kultiviertem Mauerwerk.
Ringhörig ist das, wie schon der Titel sagt. Und dieses Schweizer Wort für „hellhörig“ wird hier als Titel interessanterweise gerade über das Nichtkennen der eigentlichen Bedeutung zur Metapher für ein Hören, das die Welt radarartig im Kreis herum abtastet, das hineinlauscht in die Umgebung, die Gesichtsausdrücke, die Körper und Gegenstände, das die Sprachlaute aus ihnen herausholt – und sofort bleibt der Text innerhalb der Sprache, reflektiert sich selbst: Viel Bezug wird genommen auf das dichterische Sagen, die Entstehung von Gedichten, diesen Umwandlungsvorgang, der die Welt durch das Sprechen so gut erschafft, wie er sie verschwinden lässt. Ein Drama wird inszeniert: „Papier auf Papier Wissen zerknüllt: / Katastrophales Vergessen / Und Erinnern in wiederkehrender / Rohfassung!“
Immer ist das Erinnern eines, das in der jeweiligen momentanen Art einzigartig dasteht, das niemals Wiederholung von etwas ist. Dabei steht zugleich nichts da, ohne einen Hinterhalt zu bergen. Ganglbauer evoziert Gertrude Steins „MATERIALERNST“ in Großbuchstaben: Man ist belesen, gerüstet, die Sprache ist eine „Schichtsprache“, immer steht noch etwas dahinter, ist etwas daraus zu lesen, zu entfalten; der Ausdruck „Arrière Garde“ deutet auf den Nachvollzug von bereits Gedachtem hin, birgt vielleicht auch Kritik an der niemals voraussetzungslosen Schreibe? Die Aufforderung zur Auffaltung des Sinns tragen diese Gedichte alle in sich. Wenn sie auch vielleicht kein Wissen im strengen Sinn voraussetzen, so verlangen sie doch danach, mit einer bestimmten Lesetechnik entschlüsselt zu werden. Wer sie anwendet, dem kann sich hier der Bruch zwischen Erde und Buch – „die Erde Ein Bruch“ – als plastische Vorstellung, eröffnen; eine Ereignis für das innere Hören.

Petra Ganglbauer RINGHÖRIG
Lyrikband.
St. Wolfgang: edition art science, 2013.
In: Lyrik der Gegenwart 27.
100 S.; brosch.
ISBN 978-3-902864-16-1.

Rezension vom 01.05.2013

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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