So ambitionslos wie Herrmann im Berufsleben auftritt – den Job auf Lebenszeit in der Nähe seines Heimatortes verdankt der Studienabbrecher nicht etwa seiner Qualifikation, sondern der Fürsprache seines Vaters, damals Ortsvorsteher –, agiert er auch im Privatleben: Um die pflegebedürftige Mutter kümmert sich seine Schwester Lindi, die als ewige Studentin der Kulturanthropologie auch als Reiseleiterin arbeitet und im Reisebüro ihres (um vieles älteren) Freundes jobbt. Nachdem er von seiner Freundin Rieke nach neun Jahren Beziehung „vor vierundzwanzig Monaten und siebzehn Tagen“ (28) verlassen wurde, interessiert er sich wider besseres Wissen (keine Beziehungen am Arbeitsplatz!) sehr für seine Kollegin Celine; über das alltägliche „Kuchenritual“ kommt ihr Verhältnis jedoch nicht hinaus. Als dann auch noch sein Jugendfreund Orban auftaucht und durchaus schwerwiegende Vorfälle aus der Vergangenheit ausgräbt, sind neuerliche Gerüchte im Mikrokosmos der Heimatgemeinde und Unruhe in Herrmanns Leben vorprogrammiert und zwingen ihn zu Reaktionen.
Ohne etwas von dem dann doch noch spannenden Plot vorwegnehmen zu wollen, sei an dieser Stelle nur verraten, dass der eigentlich kreuzbrave Durchschnittstyp in einem beinahe schon grotesken Finale über sich selbst hinauswächst und für eine überraschende Wendung sorgt.
Bei aller Geduld, die man für die Verhaltensweisen des zuweilen entscheidungsunlustigen und recht passiven Protagonisten aufbringen muss, gelingt es Bettina Gärtner jedoch kraft ihrer meisterlichen Sprachbeherrschung und ihres wunderbar trockenen Humors, die Geschichte nie in die Fadesse abgleiten zu lassen. Das „Lob für ökonomisches Erzählen“ (86), das Herrmann im Deutschunterricht einmalig erhalten hat, gebührt in einem weiteren Wortsinn auch der Autorin: Die Schilderungen über den Büroalltag ihres Protagonisten, die sinnentleerten Tätigkeiten wie beispielsweise das permanent eingeforderte und zur reinen Beschäftigungstherapie verkommene Reporting, die absurden Kommunikationsstrukturen am Arbeitsplatz oder die keiner objektiven Logik gehorchenden Personalumstrukturierungen und Postenbesetzungen zeugen von einer fundierten Auseinandersetzung mit der Materie. Diesen bürokratischen Wahnsinn setzt Gärtner so realistisch wie sprachlich souverän in Szene und verliert dabei nie ihren kritischen Blick. So sieht auch Herrmann, von vielen um seinen Job auf Lebenszeit beneidet, diesen zunehmend differenziert: „Das Unternehmen zahlte ihm seine Unkündbarkeit heim, indem es Wesentliches an ihm vorbei oder über ihn hinweg geschehen ließ und ihn dabei anlächelte, so wie auch er es anlächelte, selbst jetzt noch, mit tränendem Auge.“ (152)
Neben einer reichlich skurrilen Milieustudie über das Leben in der österreichischen Provinz ist Herrmann auch ein Roman über aktuelle Arbeitswelten, die Bettina Gärtner eloquent und mit viel Sprachwitz präsentiert.