#Lyrik

Grüogeal

Ulrich Gabriel

// Rezension von Petra Nachbaur

Eros trifft Mundart.

Ulrich Gabriel ist mittlerweile als „Simon fliegt“-Ulrich zu literarischen Ehren gelangt. Daß er nicht nur als belletristischer Un-Held, sondern auch und vor allem als Musiker und Autor zu Höhenflügen neigt, zeigt seine neueste Veröffentlichung Grüogeal.

Der Untertitel Eros trifft Mundart hilft, den exotischen Namen des Bandes näher zu bestimmen und sein gewagtes Unterfangen zu spezifizieren, wobei das „Treffen“ in doppelter Hinsicht gelesen werden kann: Einmal als Aufeinander- und Zusammentreffen im Sinne einer „Eros goes Mundart“-Fusion. Gleichzeitig ist immer, wenn von Amor die Rede ist, auch der Gedanke an seinen Pfeil präsent, und so stellt sich in puncto „treffen“ die Frage, ob Eros denn auch die alemannische Mundart bzw. vielmehr umgekehrt der Vorarlberger Dialekt eine für ihn so atypische Thematik tatsächlich zu treffen vermag – oder aber verdammt ist, sein Ziel zu verfehlen.

Der Band ist eine nicht nur zweifarbige (wie der Titel suggeriert und die Illustrationen zeigen), sondern sehr bunte Mischung. Es finden sich skurrile kleine Geschichten und fabelhafte Balladen von multikultureller Liebe zwischen Zebra und Bär („Zebrastreifen“, S. 38, oder „Kriose und Schoklad“, S. 19). Die kulinarische Konstellation der beiden nicht mehr ganz taufrischen Genußobjekte besticht durch den optimal zum Thema passenden Paarreim, der dem Text einen ironisiert naiven Charakter verleiht. Gebrochene Personifikation und verallgemeinerbar unsentimentale Liebesgeschichte in Kombination mit der Verfremdung durch reale Schauplätze machen den unbestreitbaren Reiz eines solchen Textes aus. Durch den Dialekt eröffnen sich Doppeldeutigkeiten, wenn die leicht angetrunkene Kirsche vom Alkohol erhitzt d‘ „Würme“ spürt und damit gleichzeitig ihr Alter, die verlorene Makellosigkeit und sogar der Tod in diesem Aufleben mitschwingen.

Doch auch stärker an der Sprache, am Wortspiel orientierte Texte finden sich in Gabriels Band, und gerade diese schließen eine wichtige Brücke zur Dialekt- und Mundartdichtung des innerösterreichischen, speziell Wiener Raumes, wo gewagte Inhalte und Experiment mit dem Dialekt untrennbar verbunden sind, während sich die alemannische Mundart doch auch heute noch gerne auf das Heimatliche, Beschauliche, das Besinnliche anstelle des Sinnlichen beschränkt. Im lipogrammatischen Dialog zwischen „Bickel und Bitriol“ (S. 16) unterhalten sich zwei Männer über verbales und nonverbales Zähnezeigen und darüber, wie diese Bereiche „ein bisschen“ zusammenhängen. Sprach- und Lautstruktur sind auch tonangebend in einem Gedicht, in dem die Silbe „ma“ verschieden intoniert und vervielfacht Szenarien entwirft, die Raum für allerlei Phantasien offen lassen.

Die klangliche Gleichgestalt von Polster („Küsse“) und Geschmuse läuft – leider! – auf die nachhakend aufgesetzte Pointe „Couscous“ (S. 36) zu, was eine gewisse Problematik des Bandes andeutet: Manche der Texte haben eher etwas Kabarettistisches an sich und mögen im mündlichen Vortrag des Autors voll zur Geltung kommen – dies gilt etwa für „Freda the cat“ (S. 27), ein recht reduziertes Gedicht, dem in Gabriels Performance eine radikal explosive Erotik eigen ist, die sich in der stillen Lektüre allerdings weit weniger orgiastisch erschließt. Dieser orale Charakter ist wohl auch manchen Texten eigen, die beim bloßen Lesen einfach zu lang wirken, in denen sich der Autor von einer guten Idee nicht trennen mag und diese ausreizt, bis der Reiz eher verpufft.

Obwohl es sich bei ihnen um Liedtexte handeln könnte, sind Gedichte wie „Dio Nacht, dio heat Lippa“ (S. 12f.) mit ihren starken, traurigen Bildern und der Refrainstruktur auch in der Lektüre beeindruckend stimmig, atmosphärisch und vermögen den Blues zu transportieren. Die perpetuierten imperativischen (sexuellen) Wünsche und Befehle in „Undundund“ (S. 23) werden aufgerieben und exzessiv auf die Spitze getrieben durch den Einsatz nicht transitiver Verben, was die Dringlichkeit, Unerschöpflichkeit, schlußendlich jedoch auch Unerfüllbarkeit des Begehrens radikal zum Ausdruck bringt und eine sehr elegant konstruierte Variante von „Dirty Talking“ entwirft. „I will a wib“ (S. 15) schließlich ist ein Gedicht, in dem es Ulrich Gabriel auf großartige Weise gelingt, dem Vorarlberger Dialekt eine derb-deftige Sinnlichkeit zu entlocken und einen Text hinzulegen, in dem sich Eros und Mundart nicht nur treffen, sondern paaren.

Ulrich Gabriel Grüogeal
Lyrikband.
Dornbirn: Unartproduktion, 1999.
48 S.; geb.
ISBN ‎ 978-3901325311.

Rezension vom 09.11.1998

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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