Ähnlich wie in der Sammlung „Herbergssuche“ (Sisyphus 1995), geht es auch bei den Geschichten um „letzte Weihnachten“ um Außenseiter, skurrile Festivitäten und Aktionen der abstrusen Art. Dabei arbeitet der Autor mit der Erkenntnis, daß nichts so spontan daneben geht wie das Feierlich-Geplante, und daß nichts so komisch wirkt, wie das Weihnachtsglöckchen zur falschen Zeit.
„Nikolaus-Hotline“ porträtiert einen rührigen Freiberufler, der ganz nach den Richtlinien der Regierung auf Event setzt und den Leuten Häschen, Nikolaus und Sylvesterscherz in einem anbietet. Seine Homepage ist auch knallvoll mit Sonderangeboten, und einer Menschheit, die sich im Einheitsbrei am glücklichsten fühlt, muß man auch das Einerlei im passenden Outfit anbieten. „Nikolaus-Hotline“ erzählt die Geschichte des perfekten E-Commerce, der Nikolaus erscheint letztmalig in analoger Fassung, sein Programm hat er schon digitalisiert.
Im Obdachlosenheim geht es im Advent rund, wenn die Außenseiter der Gesellschaft mit Bons und Trink-Bonbons abgespeist werden. Zwei Rudis lassen das Leben Revue passieren. Zu jedem Obdachlosen wird die passende Unglücksgeschichte erfunden. Nach dem Fest geht der eine Rudi auf einen Doppler, während der andere nach Beendigung der sozialen Saisonarbeit sich in den wohlverdienten Schiurlaub stürzt.
Die Erzählung „Weihnachtsablaß“ ist als Börsenbericht der besonderen Art angelegt. Während ein Kirchenfunktionär noch die Erlösungsgeschichte herunterjodelt, gibt er jeweils aktuelle Einblicke in das Finanzimperium des Vatikan. Geradezu ein Geniestreich der Vatikanbanker ist es, in diesem Jahr die Produktionsstätten für Verhütungsmittel ersteigert zu haben. Der Weihnachtsablaß fällt deshalb heuer auch sehr großzügig aus, die „Hausse“ an der Börse geht nahtlos in ein Hallelujah über.
Eine gute Regierung hat immer auch einen Sinn für Weihnachten. Deshalb wird für Weihnachten das Programm der „Renatalisierung“ beschlossen. Die Staatsbürger können durch einen Umkehrschub in den Genen die geistigen Vorzüge des Alters mit den körperlichen Adelsprädikaten der Jugend kombinieren, was ein Wohlgefühl wie Weihnachten auslöst.
Ludwig Roman Fleischers Stärke liegt darin, daß er den Unsinn der Figuren mit der Beharrlichkeit eines operierenden Chirurgen erzählt. Ader für Ader wird freigelegt, abgeklemmt, restauriert und revitalisiert. Gerade die absurden Plots brauchen die größte Erzählgenauigkeit, damit das Unwahrscheinliche glaubhaft wahrscheinlich wird.
Wie Deix-Figuren kriegen alle Protagonisten bei Ludwig Roman Fleischer den berüchtigten Österreicher-Touch, der sich mal in einem dritten Nasenloch und mal als dritte Kraft im Parlament äußert. Die dreizehn Geschichten über „letzte Weihnachten“ sind naturgemäß keine erbaulichen Streichelgeschichten für die geschundene Seele, denn die Figuren kläffen zurück, wenn man ihnen mit Mitleid kommen will. Aber am Knackpunkt Weihnachten, wo der Konsum ohne Abwehrbewegung des Patienten voll in die Herzkammern der Gefühle einschlägt, ist Ludwig Roman Fleischer ein straffer Regisseur. Nie belehrend, nie weinerlich und doch weihnachtlich, lässt er die Protagonisten so aufeinander zusteuern, daß sie am Schluß alle im Fest implodieren.