#Roman

Die Parks von Palilula

Ludwig Fels

// Rezension von Roland Steiner

Die Standbetreiber des Brunnenmarkts – Ottakrings pars pro toto und mediales Synonym für Wiener Multikulturalität – sind tolerante Wesen. Die traurigen Gestalten vor den inflationären Wettlokalen nehmen sie ebenso hin wie die zu jeder Wahlkampfzeit aufmarschierenden Kameragesichter. Stoisch gewährt man ganzen Exkursionszügen von TV-Praktikanten, Stadtplanungsaspiranten, Kunstprojektanten und Fotografen genau die benötigten Projektionsflächen für das jeweilige Verständnis von „Multikulti“.

Michael Stavaric lieh sich die orange-grüne Plastikpalme für „Böse Spiele“ und Andrea Winkler sowie Bodo Hell den Yppenplatz als philosophische Wabe. Auch die Betonstätte am oberen Ausläufer des Marktes – nicht zu verwechseln mit der modisch bekochten „Piazza Yppen“ davor – musste in den letzten Jahren vieles aushalten: Hütchenspieler und Spielkonsolenpromoter, die Flächenfreigabe für legale Graffiti wie deren Überpinselung durch Jugendserien-Beauftragte („tschuschen:power“), den Abgang Werner Schwabs und den Zuzug Stefan Petzners nebenan, das Abdrehen der Hydranten und die Flut an Handy-Musik. Nach Marktschluss kommt es vor den Müllpressen zu Balgereien um den Überschuss an Lebensmitteln, Guy Debords Slogan „Arbeite Nie!“ prangt hier neben dem anonymen „Arbeite Wie“.

Dass Ludwig Fels, der hier mehrmals die Woche zu sehen war, arbeitete, während er am Rindenmulch-Spielplatz ein goldhäutiges Kleinkind schaukelte, wird nun klar. Damals, vor etwa anderthalb Jahren, war es einfach ein erfreulicher Anblick, dass dieser stattliche, unter der Last der Literaturproduktion und mangelnder öffentlicher Würdigung etwas bitter gewordene Autor wieder strahlen konnte.

„Ein Unding der Liebe“ (1981), diesen Feuerball von Roman wider die Lieblosigkeit, widmete der 1946 in Treuchtlingen geborene, seit langem in Wien lebende Autor „niemandem“, seinen Dank „einem einzigen Menschen.“ Ludwig Fels‘ neues Buch, ein Tagebuchroman, ist die Widmung eines Mannes an ein Kind und der abermalige Dank an die Frau seines Lebens, die es ihm zu schützen half.
Der Zufall, das Schicksal oder – wofür Fels eher plädierte – ein Gotteswunder wollte es, dass der Afrikasucher an einem Januarsamstag 2007 vor einem Zebrastreifen auf B. traf. Die nigerianische Asylwerberin misstraute ihm anfänglich, wie sie auch bis zum Ende des Tagebuchs im März 2009 nicht ihr ganzes Leben preisgibt. Das Buch endet mit einer hoffnungsvollen Wende in B.’s Leben und beginnt mit der Geburt ihrer Tochter Udoka, dem Positiv in Ludwig Fels‘ ergrautem Leben.

Die junge Frau aus Boji-Boji Agbor zieht ihr Kind alleine groß, da der leibliche Vater einer Aufenthaltsgenehmigung wegen eine Österreicherin heiratete. Sie glaubt mit Inbrunst und Trotz an ihren kleinen Shop in der Ottakringerstraße, in dem es afrikanische Kleider, Haarteile und Kosmetika zu kaufen gäbe, wenn nicht die laute Kundschaft lieber trinken und rauchen würde. Und Fels stinkt dies buchstäblich. Am liebsten käme er täglich, um Udoka – „die Gesunde“, „die Starke“ – an die Luft zu bringen, mit ihr die balkanischen Parks der Gegend, eben die „Parks von Palilula“ (im Vergleich dazu müsse der Vorort Belgrads „einfach traumhaft“ sein), nach winzigen Spielplätzen abzusuchen oder später dann im Kinderbad zu plantschen.

Darin steckt auch viel Erlösungssehnsucht: Der kleine Ludwig war eine uneheliche Schmach, R. – seine 1970 geheiratete, nun offenbar getrennt von ihm lebende Frau – am Tag ihrer Geburt vor einer Klosterpforte ausgesetzt worden, und beider Kind trüge den Namen Simonetta, hätte er nicht seiner Schreibambitionen wegen auf Abtreibung plädiert. Knapp vierzig Jahre und eine Vielzahl an engagierten Romanen, Gedichtbänden, Hörspielen und Drehbüchern später ist der frühere Erfolg schal geworden. Literatur wurde ihm zu einem Leben abschneidenden „Gewicht der Tage“: „Habe ich mich nicht die ganze Zeit davongestohlen, unterm Deckmantel der Literatur? Davongestohlen aus jedem Leben, das möglich gewesen wäre, auch menschenwürdigem?“ Nun jedoch, angesichts von Udoka und der Kälte der rotschwarzen Boulevardshowpolitik, will er in der Verantwortung eines menschenwürdigen Lebens stehen, die mit „Neger raus“ beschmierten Mauern ebenso wenig hinnehmen wie die xenophoben Neologismen einer empathiefreien Politik und dem Alltagsrassisten ein „Weiße Sau“ zurückschleudern – ehe er sich selbst ein „edles Arschloch am Schreibtisch“ schimpft.

Das Buch ist voll hochmoralischer, die Gesellschaft und sich selbst treffender Wut, häufiger noch sind die Passagen anrührender Zärtlichkeit, deren Rechtmäßigkeit er später wieder anzweifelt, ständig im Gespräch mit sich – und Gott. Als (angehender) Gläubiger bisweilen ein Fels auf Sand, nimmt er staunend an den Gottesdiensten der freikirchlichen Kephas Gemeinde teil. Die in dieser multikulturellen Community erfahrene Herzlichkeit gibt ihm Kraft, die Augen des kleinen Mädchens lassen Fels das Böse kurz vergessen und auf den Zauber des Lebens pochen.

Wie in früheren Büchern streut er Optimismus, Verwundung und Skepsis verhandelnde Gedichte in sein Diarium ein, das auch vom Lektorieren eines Theaterstückes, Rezensieren von Afrikabüchern und vom Lesen berichtet – dem Handwerk des Schriftstellerlebens: „Die Hölle, das ist jeder Satz, der noch nicht geschrieben ist. Das kann ewig dauern und zu nichts führen.“ Stilistisch ähnelt das literarisierte Tagebuch durchaus Fels‘ älteren Romanen, bisweilen zynische Hiebe alternieren mit sozialanalytischen System- und expressiven Selbstanklagen, zwischen nüchternen Erinnerungsstücken leuchten fantasierte Dialoge mit Udoku und lyrische Aphorismen.

Der Erzähler fordert von der Mehrheitsbevölkerung Offenheit, Einfühlsamkeit und Lernfähigkeit gegenüber Schutz suchenden Minderheiten und zeigt den Technokraten vor, wie es gehen könnte. Bitter sinniert er, warum das Dasein der meisten afrikanischen Asylwerber in der Rolle des entrechteten Opfers gelebt werden müsse, B. aber will er klarmachen, dass die Welt nicht nur aus nigerianischen Hiphop-Posen und Melodramen besteht. Denn B. denkt in ihrer Verzweiflung wegen behördlicher und nachbarschaftlicher Schikanen immer wieder ans Aufgeben, auch an Prostitution. Dass es nicht so weit kommt, dass Udoka auch von ihrer während eines Nigeria-Aufenthalts entwickelten Anämie genest und schlussendlich in einem Kinderhort einen kleinen Ovid kennen lernt, ist dem „Adoptivgroßvater“ Ludwig Fels zu verdanken, der mehr bewegt(e) als sein tremolierendes Herz.

Ludwig Fels Die Parks von Palilula
Roman.
Salzburg: Jung und Jung, 2009.
256 S.; geb.
ISBN 978-3-902497-57-4.

Rezension vom 13.01.2010

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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