#Roman

Ein Fisch geht an Land

Leopold Federmair

// Rezension von Georg Renöckl

If you can’t be with the one you love, honey, love the one you’re with. Stephen Stills Hit, der die Resignation zur Devise macht, wird in Leopold Federmairs Roman Ein Fisch geht an Land zur Kennmelodie einer desillusionierten Wohngemeinschaft, die sich schon längst nicht mehr „Kommune“ nennt. An den gemeinsamen Lebensentwurf kann man sich, wenn überhaupt, nur noch dunkel erinnern, übrig geblieben ist eine Zweckgemeinschaft, in der „sogar die Männer“ ihre Pflichten ernstnehmen.

Leopold Federmair ist Schriftsteller, Kritiker, Essayist und Übersetzer. Unter anderem hat er Michel Houellebecqs „Ausweitung der Kampfzone“ ins Deutsche übertragen, vielleicht macht ihn gerade das zum Experten für die Generation der desillusionierten Fourty-Somethings, von der er in seinem relativ kurzen, dafür aber äußerst dichten Roman ein treffendes Porträt zeichnet.
Das eingespielte Aneinandervorbei-Leben von sechs Berner „Wegenossen“ wird durch einen seltsamen Gast durcheinandergebracht: den staatenlosen Kave aus Wien, eine merkwürdige, androgyne Erscheinung, die es versteht, vergessene und unbewusste Sehnsüchte der Mitbewohner zu neuem Leben zu erwecken und die Erstarrung der Wohngemeinschaft zu lösen. Kave ist in seiner Widersprüchlichkeit nur schwer zu fassen: Er ist mit erstaunlicher Empathiefähigkeit ausgestattet, entwickelt zur zwölfjährigen Rigoberta eine Beziehung, an deren platonischem Charakter Zweifel berechtigt sind, und so nebenher lässt er Halbsätze fallen, in denen er Hippies „Parasiten“ und Kranke „unbrauchbar“ nennt. Die von ihm verursachten Veränderungen im Leben seiner Gastgeber sind höchst unterschiedlich, sie reichen von endlich ermöglichten Reitstunden bis zur Anstiftung zum Mord.
Was mit Faszination durch einen geheimnisvollen Fremden beginnt, endet in der Katastrophe: Die WG-Bewohner fühlen sich um ihre unbewussten Hoffnungen betrogen, als ihnen klar wird, dass ihnen Kave keine Alternative zu ihrer bisherigen, verfahrenen Situation bietet. „Nicht einmal reine Anschauung, Rückzug, Gelassenheit. Sondern Mittun, Anpassung, So-tun-als-Ob. Abstand haltend, okay. Eine Prise Ironie. Zu welchem Zweck? Langer Aufstieg durch die Bürotürme? […] Nein, da ist kein Zweck, sagte Kave.“ Die Reaktion der WG, die wie gut abgerichtete Konsumenten Schadenersatz einfordert, wird Kave nicht überleben.

Leopold Federmair geht in seinem WG-Roman weit über die Milieustudie hinaus. Er führt vor, was passieren kann, wenn geheime Wünsche erfüllt, Phantasien in die Tat umgesetzt und virtuelle Realitäten Wirklichkeit werden. Ein ungewöhnlicher Mensch, der für neue Hoffnung und Enthusiasmus sorgt, von dem man sich dann aber enttäuscht abwendet, um ihn schließlich zu demütigen und zu töten – Ein Fisch geht an Land liest sich wie eine zeitgemäße Variation des Neuen Testaments, die übermittelte Botschaft ist diesmal allerdings alles andere als froh. Bereits der Titel des Romans ist ein Wink mit dem biblischen Zaunpfahl: Der Fisch ist ein in letzter Zeit wieder in Mode gekommenes Jesus-Symbol, steht aber bereits in altindischen und buddhistischen Traditionen für Erlösung und Befreiung.

Dass der Anti-Messias Kave tatsächlich nur „befreit“, was bereits in den Wegenossen steckt, wird durch die geschickte Konstruktion des Romans deutlich. Er setzt sich aus den Erzählungen der einzelnen WG-Bewohner zusammen, die reihum von ihrer Zeit mit Kave berichten und sich für den tragischen Ausgang der Geschichte rechtfertigen. Federmair gelingt es souverän, glaubwürdige Schicksale zu entwerfen, sich in seine Figuren hineinzudenken, und sie mit einer jeweils eigenen Sprache auszustatten. Die Ich-Form ohne jeglichen Erzählerkommentar ermöglicht es dem Leser, die Handlungen und Motivationen der Figuren unmittelbar nachzuvollziehen, wobei die einzelnen Erzähler mehr von sich verraten, als ihnen wahrscheinlich lieb ist: „Ist doch klar, wenn einer im Krankenbett liegt und das Haus nie mehr verlassen wird, sondern eines nicht sehr fernen Tages mit dem Güteraufzug in den Keller befördert werden wird zur Resteverwertung oder in die Eiswelt […], daß so einer den Weg abkürzen will, weil er sich nicht ewig herumwälzen will im Bett, das du unter seinem wundgescheuerten Rücken zurechtzupfst, so gut es geht.“ Die Abgebrühtheit und Resignation der Krankenschwester wird durch Federmairs Erzählverfahren genauso verstehbar wie das virtuelle Gefühlsleben des computersüchtigen Konrad, der Cybersex folgendermaßen beschreibt: „Ich erinnere mich an jede einzelne Frau. Ich gebe ihnen Namen, speichere sie. Ich habe meine Lieblinge, und sie gehen auf mich zu. Gehen auf mich ein. Sie speichern mich, verstehst du? Wir speichern uns gegenseitig auf. Wir aktivieren uns. Wir deaktivieren uns. Wir spüren den Strom, der uns durchfließt, der wir sind.“

Ein Fisch geht an Land ist ein Roman, der ein langsames, genaues Lesen einfordert und nicht jedes Rätsel, das er aufgibt, auch löst. Der Text ist durchsetzt mit musikalischen und literarischen Anspielungen, mit Haikus und anderen Gedichten, Eichendorff und Keith Jarrett. So manche Passage wirkt, den Bewusstseinszuständen der wechselnden Erzähler entsprechend, verworren bzw. verwirrend, wie etwa Konrads vom wahllosen Internetsurfen deformierter Wortschwall oder der bizarre Showdown in Kaves Voodoo-Keller. Von derartigen Hindernissen sollte man sich jedoch nicht von der Lektüre dieses ungewöhnlichen, philosophisch-poetischen Porträts einer gar nicht so ungewöhnlichen Wohngemeinschaft abhalten lassen, denn die ist ausgesprochen lohnend.

Leopold Federmair Ein Fisch geht an Land
Roman.
Salzburg, Wien: Otto Müller, 2006.
172 S.; geb.
ISBN 3-7013-1111-0.

Rezension vom 15.05.2006

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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