#Roman

Die Stadt in der Steppe

Wolfgang Falch

// Rezension von Bernhard Oberreither

Ein wenig ist es schon so: Bei all den Büchern voll emotionalen Tiefgangs, sprachlicher Erfindungsgabe und künstlerischer Mehrdeutigkeit, die man literaturbeflissen liest, wünscht man sich manchmal zurück in eine Zeit, in der man ganz andere Dinge lesen durfte. Bücher, in denen es einfach nur rund ging, Bücher mit den Guten und den Bösen, mit Sex und Gewalt, voller Chauvinismus und Einfachheit. Bücher, bei denen unsere Mütter früher ratlos den Kopf geschüttelt haben, kurz gesagt.

 

Man soll bloß vorsichtig sein mit dem, was man sich wünscht: Wolfgang Falch hat mit „Die Stadt in der Steppe“ genau so ein Buch geschrieben, und das Ergebnis wirkt ein wenig, als hätte sich „Sin City“-Schöpfer Frank Miller an einem Roman versucht, oder als hätte Quentin Tarantino seine Filme ernst gemeint.

Falchs Erzählung beginnt mit einer böse klingenden Weissagung, die Paul von seiner sterbenden Tante empfängt; zeitgleich begehen drei Kinder einen unmotivierten und brutalen Mord („Tritt ihr gegen die Gurgel!“) an Pauls Frau, deren gerade noch zuckender Körper in einen Fluss entsorgt wird und verschwindet. Gebrochen verlässt Paul das Land. Er wird Pilot bei einer Ölgesellschaft in Kasachstan.

So viel Drastik, wie sie hier auf den ersten paar Seiten auftritt, ist man nicht gewohnt. Der stark stilisierten und sprachlich ausgiebig ornamentierten Düsternis kann man da durchaus noch etwas abgewinnen. Diesen Ton wird Falch noch öfter anschlagen, durchgehend, um genau zu sein.

Kasachstan nämlich ist entsetzlich: Immer zu heiß oder zu kalt („erbarmungslos grell und heiß“ oder „voller grauen Eises“ und „von einem erbarmungslosen Wind zerwirbelt“), ist dort alles schmutzig, entweder „voller Kot“ oder staubig, das Essen ist schlecht, das Bier ist warm. Und erst die Leute: die Männer grobe, untersetzte Kerle, Narben im Gesicht, kurze, dicke Finger, ständig mahlende Kiefer und immer bereit, einander aus nichtigen Gründen den Schädel einzuschlagen. Die Frauen sind entweder hässlich oder Huren, oft beides („Das Mädchen lächelte blöde und entblößte dabei hauergleiche Zähne.“). Und es stinkt: Kein anderes Mittel sorgt so oft für Stimmung wie dieses. Da stinkt das Essen, die Unterkunft, der Gang vor der Unterkunft, die Straße draußen, der Kot natürlich, die Leute auch, und öfter als man glaubt, das auf 300 Seiten unterbringen zu können, stinken Blut, Gehirn oder Eingeweide.

Vor diesem Hintergrund, in dem Paul lethargisch und depressiv zu versinken droht, fallen die Morde, die in der Gegend geschehen, kaum noch auf (wieder: Eingeweide). Aber Andy, ebenfalls Pilot und der einzige Freund, den unser Held Paul in der Gegend findet, scheint sich sehr dafür zu interessieren. Bald stellt sich heraus, dass Andy aus ganz bestimmten Gründen so hartnäckig nachforscht, ist er doch Agent einer amerikanischen Behörde, die die Morde an ihren Staatsbürgern klären will. Es muss nicht mehr erwähnt werden, dass Paul in diese Sache hineingezogen wird, dass bald schießwütige Agenten mit gedungenen Messermörderinnen kämpfen und Paul selbst auch jemanden erschießen muss (wieder: Gehirn).

In der Figurenrede trifft man während all dem auf recht handfeste Ansichten, zum Beispiel zum Thema Charakterstärke („Wirklich schlimm ist es, wenn du dich in die Rosette deines Hirns ficken lässt.“), zwischenmenschliche Beziehungen („Diese Weiber! Ficke keine Pussy oder aber bezahle fair dafür. Nie einen Vertrag und einen Ring!“), unterschiedliche Ethnien („die verdammten Nigger“, „Mein lieber Jude!“) und das Schicksal im Allgemeinen („Mit 55 ab in die Grube und niemand weint an deinem Grab!“). Währenddessen versucht der Erzähler sich in gehobenerem Ton („Was bedeutete da der Schmerz eines einzelnen Menschen, was mochte das Leid eines Tieres heißen, dessen Wurf von einem Nachtvogel geraubt und getötet war. Vielleicht nichts, vielleicht aber auch alles! Wenn es eine Verlorenheit gab, dann diese.“), oder bemüht sich in Stifter’scher Ausführlichkeit um einen von Hunden zerrissenen Kadaver.

Ein wenig sticht nach vollbrachter Lektüre die Widmung hervor: „Den Menschen von Daghestan“ – was so ist, als würde man eine Folge „Mein cooler Onkel Charlie“ den Frauenrechten widmen. Aber das ist nicht der Punkt, kaum wohl wollte Falch unsere Augen für eine fremde Kultur öffnen. Seine Prosa macht auch keinesfalls den Eindruck schnell abgespulter Massenware. Sie ist ein in jedem Satz hoch konzentrierter Kraftakt, den der Leser nachvollziehen soll. Zwar mag diese Form von Anstrengung nicht jedermanns Sache sein. Diese Aneinanderreihung von Grauslichkeiten jedoch nach literarischen Kriterien abzuurteilen, hieße zu verkennen, wie sehr sie Mittel zu einem höheren Zweck ist, nämlich: einer großen, geradezu läuternden Gesamtgrauslichkeit.

Wolfgang Falch Die Stadt in der Steppe
Roman.
Innsbruck: Kyrene, 2010.
300 S.; brosch.
ISBN 978-3-900009-72-4.

Rezension vom 24.01.2010

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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