Was hat Platz in einem Gedicht? Einzingers Antwort: alles. Eine Ahnung davon eröffnet gleich das erste Gedicht des Bandes, Marmeladenmonolog. Eine Braut, ein pensionierter Triebwagenchauffeur, sein Arbeitskollege Erkenbald, „eine missmutig gewordene Adele“, der „Sittich, der den Namen einer barocken Verserzählung trug“, werden in dem Gedicht ebenso wahrgenommen wie „die Taschen=/Buchausgabe einer rumänischen Version der Geschichten/Vom Schinderhannes“ und ein „Band über/Die Geschichte des Silberbergbaus“.
Und dann gibt es noch, wie im Kino, die medial vermittelten Botschaften: Auf einer Serviette „stand ganz unten der räselhafte/Satz: ‚An jenem Tag verspürte ich große Unruhe.'“ Während auf einem Großbildschirm eine Werbeeinschaltung der Winzergenossenschaft erscheint.
Marmeladenmonolog besteht aus nicht mehr als zweiundvierzig Versen, die in fünf Strophen geliedert sind. Da ist keiner, der die Kunst des Verknüpfens mittels der Schnitttechnik besser verstünde als Erwin Einzinger. Er schafft Einheiten aus disparatesten Elementen und lässt den Leser zurück mit der Frage, wie das möglich ist. Robert Musils Ulrich hält einmal fest: „Du brauchst bloß in die Zeitung hineinzusehen. Sie ist von einer unermüdlichen Undurchsichtigkeit erfüllt. Da ist die Rede von so vielen Dingen, daß es das Denkvermögen eines Leibniz überschritte. Aber man merkt es nicht einmal; man ist anders geworden. Es steht nicht mehr ein ganzer Mensch einer ganzen Welt gegenüber, sondern ein menschliches Etwas bewegt sich in einer allgemeinen Nährflüssigkeit.“
Die Texte des im oberösterreichischen Micheldorf lebenden Verdichters stellen solche „Nährflüssigkeit“ zur Verfügung. Der Erzähler der Texte hat eine Menge Humor und geizt nicht mit Urteilen. Vielleicht gilt für ihn auch jenes „Alles zu spät“, das einer meinte, „als ahnte er, daß im Hinter=/Reifen des blauen Damenfahrrads im Schulhof keine Luft mehr war“. Ein nihilistischer Apokalyptiker äußert sich da.
Freilich ist Erwin Einzinger ein Kind der Moderne. Er weiß um die Bedeutungslosigkeit dessen, was in den Gedichten passiert. Was an ihnen fasziniert, ist ihr bloßes Vorhandensein. Er lässt diesen Sachverhalt in einem dem Band vorangestellten Motto von Gustave Flaubert auf den Punkt bringen: „Wie die Sonne überzieht die Poesie den Mist mit Gold./Pech für die, die das nicht sehen.“
Tatsächlich hat Pech, wer diese Gedichte nicht zur Hand nimmt. Wie „abenteuerlich an=/Mutende Gedankengebäude“ können sie das Staunen lehren, das etwas ist und nicht vielmehr nichts.