#Roman

Als die Kirche den Fluss überquerte

Didi Drobna

// Rezension von Emily Walton

Vater und Mutter trennen sich. Es ist ein Ereignis, mit dem sich zahlreiche Kinder auseinandersetzen müssen – mal in jungem Alter, mal später, wenn sie selbst schon alt genug sind, partnerschaftliche Beziehungen einzugehen. Daniel ist bereits ein junger Erwachsener, als sein Vater nach einem gemeinsamen Sommerurlaub mit der Familie beschließt, Frau, Sohn und Tochter zu verlassen. In der Folge versuchen die Familienmitglieder mit der neuen Situation zurecht zu kommen.

Die 30-jährige Autorin Didi Drobna erzählt ihren Roman aus der Perspektive des jungen Daniel. Sie schildert, wie er die Rolle des Mannes, des Beschützers in der Familie einnimmt. Vor allem für seine Schwester Laura fühlt er sich verantwortlich, obwohl diese sogar zwei Jahre älter ist als er.
Drobna stellt ihren Lesern eine bunte Familie vor: neben Vater, Mutter und (erwachsenen) Kindern gibt es noch die flippige Großcousine Miriam und Onkel Billy, ewiger Junggeselle und Partytiger. Beide werden zu wichtigen Bezugspersonen für Daniel, während er darum ringt, Herr der neuen Lage zu werden.

Verloren und auch hilflos scheint der Protagonist in seiner neuen Rolle: Er sehnt sich nach Liebe. In dieser Zeit der emotionalen Verwirrung entwickelt er Gefühle für seine Schwester, die er nicht haben sollte. Als er nach einem turbulenten Familienabend und viel Alkohol versucht, sich seiner Schwester sexuell zu nähern, zerrüttet er die Familie weiter. Laura zieht in der Folge zum Vater in die Stadt. Daniel bleibt bei seiner Mutter, die sich recht passiv verhält, hat sie doch mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen. Großcousine Miriam und Onkel Billy sind es hier, die Daniel unter ihre Fittiche nehmen und versuchen, ihm Orientierung, Halt oder einfach nur Ablenkung zu bieten.

Didi Drobna, 1988 in Bratislava geboren und wohnhaft in Wien, verwebt ihre Hauptgeschichte mit zahlreichen Rückblenden, um den Lesern Einblick in die Vorgeschichte der Familie zu bieten. Wie in einem Mosaik werden einzelne Episoden aus Daniels Kindheit und seine Beziehungen zusammengestückelt, manche der einzelnen Kapitel könnten sogar fast als Kurzgeschichten für sich stehen. Angesiedelt ist das Buch in weiten Teilen in der ländlichen Region, eine Umgebung, die das Leben für den Protagonisten nicht gerade einfacher macht. Der Vorfall mit Schwester Laura wird in den Hintergrund gedrängt, als die Mutter immer verwirrter wird. Völlig unerwartet wird Parkinson-Demenz diagnostiziert, ein Urteil, das die Familie – zumindest Bruder und Schwester – wieder zusammenführt und auch verzeihen lässt.

Didi Drobna überzeugt in ihrem Roman mit Sprach- und Feingefühl und verwebt tragische Situationen immer wieder auch mit subtilem Humor. Sie ist eine genaue Beobachterin und es gelingt ihr, die alltäglichsten Situationen minutiös und pointiert zu schildern. Ein durchwegs gelungener Entwicklungsroman.

Didi Drobna Als die Kirche den Fluss überquerte
Roman.
München: Piper, 2018.
320 S.; geb.
ISBN 978-3-492-05920-6.

Rezension vom 24.09.2018

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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