So stehen auch die Texte in Debastianis Erzähldebut nicht nur inhaltlich miteinander in Beziehung, sie treten zudem in einen Dialog mit Bildern des brasilianischen Malers Dim Sampaio und seiner lateinamerikanischen Weltsicht.
Menschenliebe, Liebe zu Farben, Geschwisterlichkeit, zwanghaftes Sich-Verlieben, herzlose und verglühende Liebe, toxische Liebe, Mutterliebe und nicht zuletzt die Liebe zum perfekten Kaffee sind einige Themen des Bandes. Die Autorin erkundet ihr buntes Spektrum einmal ernsthaft, einmal mit viel Augenzwinkern, sie spinnt Gedanken, stellt Zusammenhänge her und erklärt uns die Welt, hier frisch drauflosplaudernd, da essayistisch, dort in Reimen.
Drei Prosastücke heben sich in ihrer literarischen Verdichtung deutlich von den sehr unterschiedlich ausgeführten Texten ab, etwa das Exzerpt „Liebe und Freundschaft“ aus dem Romanmanuskript Horseback, in dem eine verstörende Szene auf einem ländlichen Longierplatz aus der Sicht eines Mädchens erinnert wird: Wind, ein donnernder Zug, eine Pfütze Öl, ein alter Pferdetransporter, ein rostiges Tor, bedrohliche Stille – dann die Züchtigung des geliebten Pferdes, des besten Freundes. Die Mädchen, noch Kinder, als stumme Zeuginnen – kein Wort, keine Frage. „Was hatte das Pferd, dessen Namen ich noch weiß und hier doch nicht über die Lippen bringe, falsch gemacht? Ich erfuhr es nie.“
Die Brutalität und Willkür des Trainers, der Schmerz und die Wut der Mädchen, das unheimliche Schweigen werden in diesen knappen Sätzen körperlich spürbar. Anspannung macht sich breit. Machtmissbrauch und Gehorsam, legitimiert durch die Anforderungen des Wettkampfs: „Niemand hinterfragte jemals, was der Löwenbändiger tat. Weder seine Frau, noch unsere Eltern, noch wir Mädchen. Niemand hinterfragte seine Methoden, solange unsere Mannschaft Erfolg hatte.“ Später, im Erwachsenenalter, kehren die Bilder zurück, und mit ihnen die vage Schuld, das Gefühl des Verrats. In dieser Szene gelingt der Autorin eine Intensität, die alle weiteren Erklärungen erübrigt, wie Missbrauch funktioniert und warum Opfer verstummen.
Neben dem Thrill dieses Romanauszugs bleibt auch ein Ausflug der Autorin ins humorvolle Genre nachhaltig im Gedächtnis: Liebe zu Kaffee, die leichtfüßige Geschichte einer Trennung in Rom mit anschließender Trost-Affäre, bei der „ein Verlängerter, nicht zu heiß, mit exakt der richtigen Menge Milch und Zucker“, Lust auf mehr macht – mehr Kaffee, mehr Begegnung, bitte auch mehr von diesem Sprachrhythmus und diesen Dialogen!
Hohes Tempo und jugendlicher Slang prägen die Erzählung Liebe über den Tod hinaus. Hallowin‘ – Heulen, in der ein Bub den Tod seiner Mutter verarbeiten muss. Nun, zwei Jahre nach dem traumatischen Vorfall, liegt sein jüngerer Freund verletzt vor dem Lamagehege im Zoo und die Frage, ob das Lama nun gespuckt hat oder nicht, verbindet kunstvoll die Zeit- und Handlungsebenen und sorgt für komische Momente in einer sonst hochdramatischen, berührenden Familiengeschichte.
„Ich möchte in erster Linie Empowerment zum Ausdruck bringen“, schreibt Michaela Debastiani in einem Statement zu ihrer Arbeit. „Frau/Mensch, achte auf dich selbst, die Pflege deiner sozialen Beziehungen, deine persönlichen und strukturellen Netzwerke.“ In einer derartig gestärkten Zivilgesellschaft hätte vielleicht die antike Tragödie der Antigone – ihr ist der erste kurze Text des Bandes gewidmet – eine andere Wendung genommen.
Doch wie agieren wir heute? Wurde Antigone noch in eine Gruft gesperrt, um dort ganz real zu verhungern, betreiben wir Ausgrenzung per Mausklick. In den sozialen Medien grassiert unter anderem das Phänomen des „Ghosting“. Ein Kontakt wird blockiert, eine Person ohne Dialog, ohne Abschied ausgelöscht. Debastianis Gedankensprung von Antigone zu Facebook und Instagram ist in seiner Spannweite überraschend, zeigt aber punktgenau, wie wir selbst in unserer perfekt vernetzten Gesellschaft archaische Abwehrmechanismen kultivieren. Diese sind eben zutiefst menschlich.
Trotz alledem ist Frauenherz ein Ermunterungsbuch – „Frauen, hört auf eure Herzen“, heißt es im Vorwort, und im abschließenden Gedankenaustausch mit ihrem Lektor Tristan kommt die Autorin zu dem Schluss, dass Liebe die einzige Wahrheit ist, die wir erfahren können.
Kitsch? – Keineswegs, denn Debastianis Texte setzen oft dort an, wo ebendiese Liebe fehlt.
Der Roman Horseback hat, wie wir nebenbei im Nachwort erfahren, bereits ein Schlusskapitel. Vielleicht können wir ihn mit Tristans Hilfe bald lesen?
Sabine Schuster, Studium der Germanistik und Publizistik an der Universität Wien (Abschluss 1992), Tätigkeit für die schule für dichtung in Wien, die IG Autorinnen Autoren und den Folio Verlag, ab 1993 im Team des Literaturhaus Wien, von 2001 bis 2023 Redakteurin des Online-Buchmagazins.